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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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Dolmetschers übernehmen, der der Welt die Vereinigten Staaten und diesen die Welt erklärte. Trotz ihres einzigartigen Beitrags zur Gründung der UNO und zu deren Missionen in den folgenden Jahrzehnten waren die Vereinigten Staaten nach dem Irakkrieg nur selten bereit, zuzuhören, so wie die Welt andererseits nicht fähig war, ihre wahre Meinung auszusprechen.
    Vor Ort im Irak ließen sich die Kosten des Krieges am Maßstab der Todesopfer ermessen, jener über hunderttausend Menschen, die im Chaos nach der Invasion ums Leben kamen. International führte der Krieg zum Abbruch von Beziehungen und zur Verhärtung von Animositäten. Darüber hinaus litten die persönliche Integrität und das Ansehen einiger Hauptbeteiligter, und niemand erfuhr diesen Wandel auf schmerzlichere und öffentlichere Weise als Colin Powell, der schließlich zurücktrat, nachdem die Regierung Bush sein Prestige ausgenutzt und ausgeschöpft hatte. Abgesehen von Powell hatte indes kein politischer Führer an den Konsequenzen des Irakkrieges so schwer zu tragen wie Tony Blair.
    »He, Blair, wie geht’s?« Als ich diese ersten Worte des Gesprächs zwischen US -Präsident George W. Bush und dem britischen Premierminister Tony Blair las, das auf dem G8-Gipfel im Juli 2008 in St. Petersburg insgeheim mitgeschnitten worden war, sah ich geradezu vor mir, wie Blair unmerklich zusammenzuckte. Er bot Bush an, in den Nahen Osten zu reisen. Er sei bereit, sagte er, augenblicklich abzureisen, um die Spannungen zu verringern. Als Bush ihm mitteilte, dass seine Außenministerin Condoleezza Rice in Kürze ebenfalls in den Nahen Osten aufbrechen werde, erwiderte Blair, er könne ihren Besuch diplomatisch vorbereiten. Der Mitarbeiter, der mir die Gesprächsniederschrift übergeben hatte, forderte mich auf, weiterzulesen. Wie sich herausstellte, hatten Bush und Blair auch über mich gesprochen, und zwar auf nicht sehr schmeichelhafte Weise.
    Als ich beim G8-Gipfel eintraf, herrschte seit vier Tagen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah. Ausgelöst hatte ihn die Hisbollah, indem sie Raketen auf israelische Grenzstädte abgefeuert und anschließend die libanesisch-israelische Grenze überschritten hatte, um eine israelische Patrouille anzugreifen, wobei sie zwei Soldaten als Geiseln nahm. Israel antwortete mit massiven Militärschlägen sowohl gegen die militante Gruppe als auch gegen den libanesischen Staat und dessen Infrastruktur. Ich hatte mir vorgenommen, auf die Einstellung der Feindseligkeiten zu drängen, und wollte die Stationierung einer internationalen Truppe als Voraussetzung für einen dauerhaften Friedensschluss vorschlagen. Mir war klar, dass ich mindestens einen Teilnehmer des Gipfels verärgert hatte, indem ich den russischen Präsidenten Wladimir Putin gebeten hatte, die Tagesordnung zu ändern und mir Gelegenheit zu geben, auf der Hauptsitzung des Gipfels zu sprechen. Als sich zwischen Bush und mir vor den Augen der anderen Staatsmänner – von denen nur der französische Präsident Jacques Chirac ganz am Ende der Sitzung das Wort ergriff – ein erregter, scharfer Wortwechsel über meinen Vorschlag entspann, wurde deutlich, dass Bush die Angelegenheit schlichtweg als einen Kampf zwischen Gut und Böse betrachtete. Noch unverblümter äußerte er sich gegenüber Blair. »Was ist mit Kofi?«, fuhr er in dem aufgezeichneten Gespräch fort. »Mir gefällt sein Waffenstillstandsplan nicht … Im Grunde meint er, dass sich nach einem Waffenstillstand schon alles regeln werde … Was wir brauchen, ist, dass Syrien die Hisbollah dazu bringt, mit diesem Scheiß aufzuhören, und dann ist alles vorbei … Ich hätte Kofi beinah aufgefordert, sich ans Telefon zu setzen, Assad anzurufen und dafür zu sorgen, dass etwas passiert …«
    Ich wünschte, ich – oder irgendjemand anders – könnte mal eben mit einem Telefonanruf erreichen, »dass etwas passiert«. Aufgrund der von den USA verfolgten Politik, Syrien zu isolieren, war ich zwar einer der wenigen internationalen Politiker, die noch mit der syrischen Führung sprachen, aber für eine Lösung war mehr erforderlich als ein Telefongespräch. Angesichts der komplexen Interessen und Motivationen in Syrien – und bei seinen Nachbarn, einschließlich Israels – handelte es sich um ein dreidimensionales Schachspiel zwischen den abgefeimtesten und von tiefem gegenseitigem Misstrauen erfüllten Mächten.
    Tatsächlich war die Entwicklung im Libanon nicht nur eine erschütternde Tragödie für Libanesen

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