Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
in den Irak, und der US -Außenminister hatte mich telefonisch um ein Treffen gebeten. Er erschien, selbstbewusst wie eh und je, allein, ohne Assistenten und ohne den amerikanischen Botschafter an seiner Seite, im achtunddreißigsten Stock des UN -Hauptquartiers. Ich konnte das Durchhaltevermögen dieses Mannes, der so viel auf sich genommen hatte, um für einen Krieg einzutreten, an den er offensichtlich nicht glaubte, nur bewundern. »Man hat die mobilen Labors gefunden, und obwohl wir die Neuigkeit noch nicht bekanntgeben wollen, werden Sie sie morgen aus den Nachrichten erfahren.« US -Truppen hatten im Irak etwas entdeckt, was sie für mobile Labors zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen hielten, und Powell war zuversichtlich, dass es diesmal wirklich so war. Der Krieg war gerechtfertigt, die Ursache bestätigt.
Während ich keinen Grund hatte, an Powells Aufrichtigkeit zu zweifeln, war ich dennoch nicht überzeugt, dass es sich tatsächlich um den handfesten Beweis von Massenvernichtungswaffen handelte, nach dem die US -Truppen mit wachsender Verzweiflung im Irak suchten. Ich hatte das alles bereits erlebt, am eindringlichsten ein halbes Jahr zuvor, als John Negroponte, der US -Botschafter bei den Vereinten Nationen, um ein vertrauliches Gespräch gebeten hatte, um mir einige der von den USA gesammelten Beweise für Saddam Husseins illegales Waffenprogramm zu zeigen. Während Negroponte und der hohe CIA -Beamte, der ihn begleitet hatte, mir ein Foto nach dem anderen vorlegten – und in ernstem Tonfall die Stichhaltigkeit der Beweise betonten –, wurde ein beunruhigendes Muster immer deutlicher: Es waren alles nur Indizien. Meine beiden Besucher zeigten beispielsweise ein fünf Jahre altes Foto eines Gebäudes, dann ein Foto desselben Gebäudes zwei Jahre später, nach einem amerikanischen Angriff, mit neuem Dach und Lastwagen, die hinein- und hinausfuhren. »Aber das belegt eigentlich gar nichts«, warf einer meiner Mitarbeiter ein, »außer, dass ein Gebäude vorhanden war, bombardiert und dann wieder aufgebaut wurde. Woher wissen Sie, was sich in dem Gebäude befindet? Es könnte alles Mögliche sein!« Negroponte hatte etwas anderes erwartet. Während der CIA -Beamte schweigend die Fotos einsammelte, stellte ich noch einige Fragen, auf die ich jedoch in keiner Weise befriedigende Antworten erhielt.
Was Negroponte vorgelegt hatte, um mir den Ernst der Bedrohung vermeintlich glasklar vor Augen zu führen, hatte eher das Gegenteil bewirkt. Als wir nach dem Treffen in mein Büro gingen, bemerkte ein anderer meiner Mitarbeiter: »Warum versprechen sie erst definitive Enthüllungen, um dann doch nur mit Dingen anzukommen, die bestenfalls Indizienbeweise sind? Denken sie wirklich, wir seien so leichtgläubig? Oder haben sie nicht mehr in der Hand, und wir haben eben die grundsätzlichen Fragen gestellt, denen sie ausgewichen sind?« Die Antworten darauf sollten wir bald erhalten.
Nach dem 11. September 2001 erlebte Amerika zunächst eine Welle der Anteilnahme und Unterstützung, doch dann senkte sich zwischen ihm und der übrigen Welt bald ein schwerer Vorhang. Nach Ansicht vieler Amerikaner, insbesondere der Bush-Administration, war durch die brutale Gewalt, die Amerika und zweien seiner Städte angetan worden war, eine globale Reaktion mehr als gerechtfertigt. Ein großer Teil der Weltgemeinschaft fand damals jedoch, so schockierend es vielen Amerikanern erscheinen mag, dass die größte Gefahr für den Weltfrieden nicht von Saddam ausging, sondern von den erzürnten und auf Rache sinnenden Vereinigten Staaten. Tragischerweise änderten der nachfolgende Einmarsch in den Irak und sein chaotisches, blutiges Nachspiel wenig an dieser Auffassung. So wie der 11. September 2001 die Welt veränderte, so hatte auch der Irakkrieg Folgen von dramatischem Ausmaß – von der Empörung der arabischen Nationen angesichts des durch den Sturz Saddams ausgelösten Durcheinanders über das tiefe Misstrauen vieler Mitglieder des Sicherheitsrats, die sich durch die qualvollen Verhandlungen im Vorfeld des Krieges verletzt fühlten, bis hin zu der zunehmenden Isolation der Vereinigten Staaten, denen man nicht länger mit Furcht oder Respekt gegenübertrat. Was die Vereinigten Staaten infolge der Invasion verloren hatten, war der Vertrauensbonus eines Denkens, das im Zweifelsfall zu ihren Gunsten entschied. Das schmerzte mich tief. In meiner Amtszeit als Generalsekretär musste ich oftmals die Rolle eines globalen
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