Ein letzter Brief von dir (German Edition)
sackte in sich zusammen.
Er streckte die Hände aus, griff aber ins Leere, und es gab nichts, was seinen Fall hätte aufhalten können. Das letzte, sonderbare Geräusch, das er hörte, war ein eigentümliches Gurgeln, das aus ihm herausbrach, weil der Schmerz in seiner Brust so heftig war.
Der Bürgersteig drückte gegen seine Wange.
Sim schloss die Augen.
Kapitel eins
O rlas Morgen hatte sich in einen Horrorfilm verwandelt. In Zeitlupe öffnete sie die Haustür, das Telefon ans Ohr gepresst. Orla starrte den Briefträger an, als wäre sie ein viktorianischer Forscher und er ein Nashorn. Seit sie ein Kind gewesen war, brachte er ihr die Post an die Tür, aber heute erkannte sie ihn kaum. Ihre Welt war geschrumpft und hatte alles ausgelöscht bis auf die Stimme in ihrem Ohr.
Der Briefträger hielt ihr einen großen, sehr rosafarbenen Umschlag hin. «Dreimal darfst du raten, von wem er ist!» Mein Gott, was war er heute wieder fröhlich. Sie hatte ihn oft genug um seine Lebensfreude beneidet, und das trotz der frühen Stunde und des keltischen Wetters.
Orla nahm den Brief und starrte auf ihren Namen und die Adresse, als ob es Sanskrit wäre. «Reece», sagte sie in den Hörer. «Könntest du das bitte wiederholen?»
«Ich sagte», flötete der Postmann, der glaubte, dass er gemeint sei, «kein Zweifel, das ist ein Valentinsgruß von deinem Sim!»
«Sim», sagte die vornehme Stimme aus London, «ist vor fünfundfünfzig Minuten verstorben. Man konnte nichts tun. Es tut mir so leid.»
«Öffne sie doch!», sagte der Briefträger augenzwinkernd. «Öffne sie und zähle die Küsse! Ach! Junge Liebe!»
Orla knallte die Tür zu und durchquerte den Flur, um sich auf das Küchenlinoleum zu übergeben. Vom Fensterbrett schaute die Nachbarkatze mürrisch auf sie herunter und trollte sich dann. Von Orla war heute offenbar kein zweites Frühstück zu erwarten.
Der rosafarbene Umschlag trudelte auf den Boden.
Du kannst nicht ewig auf dem Fußboden sitzen bleiben.
Der Gedanke ließ Orla endlich aufstehen.
Sie schaute sich um. Die Welt war in ein anderes Licht getaucht. Die Becher auf dem Abtropfgitter, ihre To-do-Liste am Kühlschrank, das karierte Hügelchen des Geschirrtuchs, das sie auf dem Küchentisch hatte liegen lassen – alles sah irgendwie trüb aus. Als hätte ein Himmelswesen einen Schalter umgelegt und Orla in eine neue, graue Wirklichkeit geworfen.
Sie war vollkommen durcheinander.
Sim
. Sie sprach seinen Namen laut aus, immer und immer wieder, wie eine Beschwörung. Sie griff nach dem Telefon, um ihn anzurufen, und schleuderte es dann auf den Boden. Sie ging von Zimmer zu Zimmer und rieb sich die Arme, als ob sie sich wie einen Fleck wegreiben könnte. Orla lief, änderte die Richtung, setzte sich hin, stand wieder auf. Sie schüttelte den Kopf, als ob sie es sich damit begreifbarer machen könnte. Ihr Sim konnte nicht fort sein. Das konnte einfach nicht sein.
Sie wollte sich die Kleider vom Leib reißen, sich Löcher in die Brust bohren. Das hier musste ein Traum sein.
Erleichtert bemerkte sie, dass sie noch ihr Bett machen musste. Das Badezimmer musste in Ordnung gebracht werden. Sie hob die Bettdecke vom Boden auf, hantierte damit herum, faltete sie zusammen. Sie wischte die Fliesen im Bad gründlich ab und bemühte sich, auch wirklich jeden Wassertropfen zu erwischen.
Ihr ganzer Körper dachte an Sim. Ihr Kopf konnte keinen Gedanken lange genug festhalten, als dass sie ihn hätte zu Ende denken können, aber ihr Körper, vielleicht ihr ganzes Sein, war von Sim durchdrungen. Er war in den Staubkörnchen, die in den Sonnenstrahlen schwebten und durch das Schlafzimmerfenster fielen. Er war das weiche, knubbelige Gefühl der Badematte unter ihren Füßen. Er war Farbe, er war Klang.
Er konnte doch nicht fort sein.
Orla machte sich gerade eine Tasse Tee, als sie wie unter Wasser das Türklingeln hörte.
«Hey, wie geht’s!» Juno trat mit der Selbstverständlichkeit einer alten Freundin über ihre Schwelle. «Ich war grad auf dem Weg zum Fitnessstudio, faule Nuss, die ich bin, und da hab ich dein Auto in der Einfahrt gesehen. Was ist los? Grippe?
Liebes
kummer?» Sie presste den Handrücken gegen die Stirn und tat so, als fiele sie in Ohnmacht, richtete sich aber sofort wieder auf, als sie Orlas Gesicht sah. «Oh, nein! Es ist
tatsächlich
was passiert.»
«Tee?», fragte Orla mechanisch und ging an Juno vorbei in die Küche. Sie öffnete den Kühlschrank. Das Essen darin sah aus wie die
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