Ein Mann fürs Grobe
anhielt und seinen Fahrgast mit Hilfe eines Schalldämpfers erschoß. Allerdings war die Frage, was er dann mit dem Toten machte: Ließ er ihn weiterhin auf dem Rücksitz, oder steckte er ihn bald in den Kofferraum? Beides war gefährlich. Es war also anzunehmen, daß er seinen Fahrgast erst kurz vor seiner «Entsorgungsstätte» erschoß. Mannhardt notierte sich: Taxifahrer ausfindig machen, die weit draußen wohnen.
5. Steigerung der Tat
War nicht zu konstatieren.
6. Zeitfaktoren
Sicherlich nachts, und unter einer halben Stunde war es nicht zu machen, einen Fahrgast zu töten und ihn in ein «Zwischenlager» zu bringen.
7. Ortsfaktoren
Wechselnde Tatorte, wahrscheinlich in Berliner Vorstädten oder Vororten.
Mannhardt schlug die Bücher wieder zu und setzte sich in die Cafeteria. Ohne das Arrangement des Tatortes, die Rekonstruktion der Tat und den forensischen Befund des Opfers zu kennen, brachte einem das Profiling herzlich wenig. Er schätzte aber, daß sein Täter höchstens 35 Jahre zählte – in höherem Lebensalter wäre seine kriminelle Energie kaum noch hoch genug gewesen –, weit draußen wohnte, als Single lebte, selber Besitzer eines Taxis war – als Angestellter wäre das alles nicht gegangen – und zur Kategorie der Linkshänder gehörte. Das war nicht viel, aber immerhin besser als nichts.
Er sah auf die breite Ausfallstraße hinaus, auf der die Autos dahinflitzen wie Atome im Beschleuniger. Auch Taxen waren dabei. Er begann zu träumen. Wenn dies ein Kriminalroman gewesen wäre und nicht die Wirklichkeit, dann hätte es nur einen Schluß gegeben: Mirko Fischer steigt in den Wagen des selber mordenden Taxifahrers und gibt ein Fahrtziel weit draußen an. Hoppegarten beispielsweise. Viele Kilometer lang sind sie beisammen, die Spannung steigt. Wer wird als erster zuschlagen? Mirko Fischer wahrscheinlich, denn der andere hat es ja nur auf die Westmanager abgesehen, die die Ossis reinlegen wollen. Da sagt Mirko Fischer, daß er ein Manager sei und draußen in Rennbahnnähe eine Villa suche...
Stell dir vor, du hast Dienst, liegst aber im Bett und liest, hast dich krank gemeldet, bist aber eigentlich gesund und munter. Yaiza Teetzmann hatte es schwer, diese Tatbestände auf die Reihe zu bringen. Nein, irgendwie ging es ihr ja wirklich schlecht. Die Sache war ihr auf den Magen geschlagen. Liegt sie da am Waldesrand, träumt vor sich hin, nickt ein – und schreckt erst wieder hoch, als sich ein junger Mann auf ihr Rennrad schwingt und losfegt wie ein Olympiasieger. Sie hat keine Chance. Sie ruft nicht, sie greift nicht zur Waffe, und sie hetzt auch nicht zum nächsten Telefon, um die Fahndung einzuleiten. Sie fürchtet nur, sich ebenso zu blamieren wie Mannhardt in der Arztpraxis in Tegel. Jetzt würde sich der Spott der Kollegen, der Medien und der Leute im Lande vervielfachen und unerträglich werden. Dümmer, als die Polizei erlaubt. Einmal ist keinmal, aber wenn die nun pausenlos die Deppen sind... Also läuft sie zu Fuß zur nächsten Haltestelle und redet sich ein, nie ein Rennrad besessen zu haben. Vielleicht war es ja gar nicht dieser Mirko Fischer. Doch wenn er es nun wirklich war und doch noch mal gefaßt wird und dann erzählt, wie er einer Kriminalbeamtin das Rad gestohlen hat, um damit schneller nach Hamburg zu kommen... Das war es, was Yaiza Teetzmann dahin gebracht hatte, eine Krankmeldung abzugeben. Psychosomatische Störungen infolge des Dauerstresses im Beruf.
Sie machte sich an die Lektüre eines Buches, das ihr Mannhardt neulich geschenkt hatte. Es waren die neuesten «Sagen» von Rolf Wilhelm Brednich, diesmal unter der Überschrift «Das Huhn mit dem Gipsbein» zusammengetragen. Eine Geschichte hatte er ihr extra angestrichen: «Go upstairs». Eine Austauschschülerin in den USA ist alleine zu Hause, sitzt unten im Zimmer vor dem Fernseher, während oben die drei Kinder schlafen. Plötzlich klingelt das Telefon, und sie hört, als sie abgenommen hat, eine unheimlich heisere Stimme flüstern: « Go upstairs and watch your kids!» Sie ist verwirrt und zögert. Da kommt der zweite Anruf, und der Mann am anderen Ende der Leitung versucht regelrecht, sie mit seiner Stimme zu hypnotisieren. «Go upstairs and watch your kids!» Sie ist schon auf der Treppe nach oben, da beschließt sie, doch lieber erst die Polizei zu verständigen. Die ruft Sekunden später zurück. «Verlassen Sie sofort das Haus. Wir sind schon auf dem Weg zu Ihnen!» Wenig später stürmt die
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