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Ein Mord den jeder begeht

Ein Mord den jeder begeht

Titel: Ein Mord den jeder begeht Kostenlos Bücher Online Lesen
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folgenden Tröstungen.
    Einst war er in dem weißlackierten Vorzimmer von seinem tobenden Erzeuger betroffen worden, in einem ungelegenen, aber von seiten Kokoschs völlig schuldlosen Augenblicke: denn eben war jener im Begriffe, sich rechtzeitig zum Nachmittagsunterricht in die Schule zu begeben. Er hielt die Tasche mit den Büchern unterm Arme. Der Vater, dessen Stimme drinnen bei der Mutter urplötzlich laut geworden war, um alsbald in einen schreienden, ja brüllenden Ton überzugehen, kam durch die verglaste Doppeltüre des Empfangszimmers herausgeschossen und sah Kokosch da stehen, den er schon außer Hause geglaubt. »Du parierst, scheint es, auch nicht mehr Ordre, wie du solltest, du Kanaille!« pfauchte er den Knaben an, mit verhältnismäßig leiser Stimme, was auf Kokosch den tiefsten Eindruck machte. »Marsch, marsch!« rief jetzt der Vater, packte den Kleinen – der augenblicklich vor Schreck zu weinen begonnen hatte – hart am Genick und stieß ihn zur Türe hinaus. Nach dem Unterricht wurde Kokosch diesmal von seinem Vater abgeholt – was den Knaben beim Heraustritt aus dem Schulhaus erschreckte, denn sonst pflegte solches nie der Fall zu sein – aber Lorenz Castiletz überschüttete sein Söhnchen mit Zärtlichkeiten, stopfte den Buben beim Zuckerbäcker mit Kuchen und Schlagsahne voll und widmete sich ihm den Abend hindurch bei den Schulaufgaben – die solchermaßen im Handumdrehen fertig wurden – und beim Spielen. Er legte sich in seiner ganzen Größe auf den Bauch, um die Weichen der Uhrwerkseisenbahn genau und richtig stellen zu können, und die eintretende Mutter schlug bei diesem Anblick die Hände zusammen. Auch Kokosch war erfreut. Darunter ging das im Vorzimmer Erlebte doch in seine Träume ein, es waren stets schreckhafte Träume, in welchen er merkwürdigerweise die Matte aus braunem Rips, welche da draußen von der Eingangstüre bis zu der verglasten Tür des Empfangszimmers lief, mit einer außerordentlichen Deutlichkeit sah und jede Faser wie aus nächster Nähe, als ragte er selbst kaum zwei Spannen hoch über den Boden. Solches fehlte nie beim Traum vom zornigen Vater.
    Jene plötzlichen Stürze ins Schwarz aber hatten bei Lorenz Castiletz durchaus und ausnahmslos die lächerlichsten Ursachen, und es war noch nie vorgekommen, daß er in dieser Weise bei irgendwelchen wichtigen oder auch nur einigermaßen erheblichen Angelegenheiten den Kopf verloren hätte. Sondern verrollte Kragenknöpfe und verknüllte Schlipse, verlegte Zettel, auf welchen nicht erledigte Besorgungen vermerkt waren: solches Gelichter lockte ihn in den Abgrund. Dieser letztere war zudem nicht immer ein nur vergleichsweiser, sondern wurde äußerlich sozusagen vorgeformt durch das Dunkel unter Schreibtisch und Sofa, wo etwa gesucht werden mußte, in tiefgebückter Stellung, welche für den entschieden zum Schlagfuß neigenden Mann mit dem geschwächten Herzen beklemmend war und ihn endlich – meistens unverrichteter Sachen – mit rotem Kopf wieder auftauchen ließ.
    Wie viele schlampige Leute – deren Geheimnis wesentlich darin besteht, daß sie ein Ding hernehmen und gebrauchen, nie aber an seinen Platz zurücksetzen – behauptete er, man habe ihm etwas genommen oder verräumt, sobald es nicht an seinem Platze sich befand, was aber in dem stets neu ausbrechenden Chaos des Schreibzimmers geradezu übernatürlich gewesen wäre: bis auf die ersten zwei Stunden etwa, nachdem Frau Castiletz in Abwesenheit des Gatten wieder einmal Ordnung gemacht hatte. Hier aber lag vielleicht die größte Gefahr: denn ein solcher rationalistischer Eingriff zerstörte wieder alle jene im Leben gewordenen Pfade und Bahnungen des Gebrauchs, auf welchen dann die Dinge zwar einfach dahinten liegen blieben – woran sich aber ein im Halbschatten des Bewußtseins schnell und geschickt arbeitendes Gedächtnis des Suchenden wieder zurücktasten konnte; es gehört diese Fähigkeit zu den bedeutendsten und erstaunlichsten Seelenkräften der unordentlichen Leute: gerade sie aber wurden durch den Eingriff gelähmt, so daß nunmehr mit dem hellen Verstand gesucht werden mußte, welches Organ an sich ja ein kritisches ist; wehe, wenn den von ihm in solchen Fällen mit peinlichster Strenge geforderten Ordnungsörtern dann die äußere Entsprechung fehlte! Der Sturz in den Abgrund wurde möglich, ja mitunter unvermeidlich.
    Man war also in Conrads elterlicher Wohnung nie ganz sicher, da es ja des Eintrittes äußerer Katastrophen oder

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