Die Versuchung der Hoffnung
Kapitel 1
Nach einem langen Vormittag voller Vorlesungen und Seminare an der Uni, einer überaus schwierigen Klausur in Geschichte der Literaturwissenschaft, in der der dazugehörige Professor jeden, aber auch wirklich jeden Mist abgefragt hat, und nach einem noch längeren Arbeitstag in der Unibibliothek habe ich jetzt endlich Feierabend.
Müde schlüpfe ich in meinen warmen Mantel und wickle mir den Schal um den Hals. Alles, was ich heute Abend will, ist in mein Zimmer zu gehen, mich aufs Bett zu legen, den Fernseher anzuschalten und eine Tüte Chips zu essen. Und zwar ohne darüber nachzudenken, wie ungesund das ist. Um die Kalorien brauche ich mir heute auch keine Sorgen zu machen. Nach dem Frühstück musste ich heute nämlich aus Zeitgründen alle Mahlzeiten ausfallen lassen.
Erschöpft gehe ich in Richtung der doppelten Eingangstür der Bibliothek und als ich die äußere der beiden Schwingtüren öffne und ins Freie trete, lähmt die klirrende Kälte für einen Moment meinen Atem. Und dabei ist es gerade mal Anfang November! Die ersten Atemzüge fühlen sich an, als würde ich lauter kleine, eiskalte Stecknadeln einatmen. Ich schlinge meinen dicken Schal über Mund und Nase und setzte die Kapuze auf den Kopf. Am Rande meines Gesichtsfeldes nehme ich eine Bewegung wahr und mir schwant Böses.
Bitte nicht ausgerechnet heute!
Aber mein stummes Flehen wird nicht erhört und auch der Versuch, die dick vermummte Gestalt einfach zu übersehen, bleibt ohne Erfolg, denn im selben Moment spricht sie mich schon an.
„Tu nicht so, Hope. Ich weiß genau, dass du mich gesehen hast!“
Seufzend bleibe ich stehen. „Du bist ein Quälgeist, Val! Bitte nicht heute.“
Doch sie kommt erbarmungslos lächelnd auf mich zu und hält mir einen Plastikbeutel unter die Nase, der mich Übles erahnen lässt. Heftig schüttle ich den Kopf, aber Valerie kennt keine Gnade.
„Oh doch. Du hast es mir versprochen! Und jetzt bewegst du deinen süßen Arsch gefälligst zurück in die Bibliothek, gehst zur Toilette, ziehst dich um und frisch st dein Make-up auf. Danach gehen wir zwei aus und betrinken uns wie geplant, weil wir heute die letzte Prüfung für dieses Semester hinter uns gebracht haben. Schön brav sein, hörst du?“
Grummelnd und leise fluchend nehme ich ihr die Tasche aus der Hand und gehe mich umziehen. Zugegeben, ich habe es ihr versprochen. Allerdings kann ich mein Bett bis hierher nach mir rufen hören und es lockt ständig damit, wie warm, weich und gemütlich es ist.
Es hilft trotzdem nichts. Einen kurzen Moment lang überlege ich, ob das Toilettenfenster wohl groß genug ist, um einfach abzuhauen. Aber dann fällt mir ein, dass ich bei dem Versuch, dort hinauszuklettern, genau neben dem Haupteingang herauskommen und vermutlich wortwörtlich in Valeries Arme fallen würde.
Mit einem ergebenen Seufzen öffne ich die rosa Plastiktüte und inspiziere die Klamotten, die Val mir eingepackt hat. Wenn ich bislang gedacht habe, dass simples Ausgehen nach einem anstrengenden, langen Tag das Schlimmste ist, das mir passieren könnte, muss ich nun feststellen, dass ich mich geirrt habe. Valerie war nämlich nicht an meinem Kleiderschrank, um mir etwas Passendes für heute Abend herauszusuchen, sondern an ihrem. Und das bedeutet, dass die Sachen für meinen Geschmack viel zu knapp und viel zu sexy ausfallen und ich mir heute Abend zu allem Überfluss auch noch den Arsch abfrieren werde. Da aber selbst ich einsehe, dass ich schlecht mit meiner dicken Wollstrickjacke und meinen ältesten Jeans ausgehen kann, zumindest in keinen der Läden, in die Val mich vermutlich gleich schleifen wird, schließe ich mich letztlich kopfschüttelnd in einer der beiden Kabinen auf der Toilette ein.
Frierend schlüpfe ich aus meinen warmen Klamotten und tausche sie gegen ein graues Stückchen Satin, das vorne artig hochgeschlossen ist und hinten nur aus drei seidigen Bändern besteht, die man im Nacken, über dem BH-Verschluss und kurz über der Hüfte zu Schleifen zusammenbindet.
Wenn das mal nicht optimal bei Minustemperaturen ist.
Die blöden Bänder zuzubinden ist eine Herausforderung für sich. Vielleicht hat Valerie gehofft, ich würde halbnackt auf die Straße kommen, um sie um Hilfe zu bitten. Wundern würde mich das jedenfalls nicht. Nach ein paar Verrenkungen, die vermutlich für Außenstehende nach mittelschweren Krämpfen aussehen würden, gelingt es mir aber schließlich selbst, das aufwendige Kleidungsstück zu
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