Ein neues Paradies
Kampf ums Dasein aufnimmt, während ihm noch die Eierschale anhängt. Mein Eiweiß und Eigelb ist lebendig und auf die Erzeugung eines ganz bestimmten Lebewesens gerichtet. Polarisiert würdet ihr gelehrten Herren sagen, denn wo die Begriffe fehlen, da stellt zur rechten Zeit ein Wort sich ein. Aber erklärt mir den Unterschied zwischen einem Ei von spanischen Hühnern und einem von italienischen. Ihr werdet ihn chemisch niemals nachweisen können. Beide Eier enthalten aber Leben, und zwar Leben verschiedener Art. Aus dem einen kommt ein italienisches, aus dem anderen ein spanisches Küken. Ebensowenig wie eure künstliche Stärke dem lebendigen Roggenkorn, ist euer künstliches Eiweiß dem lebendigen Ei vergleichbar. Eure Versuche erinnern mich an das Spiel von Kindern, die aus Pappe eine Lokomotive bauen und sie dann am liebsten mit Feuer heizen möchten. Sie weinen dann, wenn die ganze Geschichte im Feuer vergeht.«
»Sie gehen zu weit«, unterbrach ihn Erich. »Wir denken nicht daran, das Leben nachmachen zu wollen. Wir forschen als Männer der Wissenschaft den ewigen unveränderlichen Naturgesetzen nach. Nur allzuschlecht gerüstet sind wir in diesem Jahrtausende alten Kampf. Wie Blinde stehen wir den Naturgesetzen, dem Weltall gegenüber und noch heute gilt das Wort des alten Plato, daß wir immer nur die Phänomena, das heißt den äußeren Schein, aber niemals die Onta, das heißt den Wesensgrund der Dinge selber fassen können. Aber auch dieser Kampf eines Blinden, dem sich manchmal die Binde ein wenig lüftet, hat seine Reize. Schritt um Schritt haben wir die Phänomena studiert und sind mit Hilfe der kombinierenden Vernunft doch näher an die Onta herangekommen. Der Kampf geht seit sechstausend Jahren, und erst wenige Millimeter haben wir auf einer meilenlangen Bahn zurückgelegt. Noch sind uns die beiden größten Wunder der Welt in absolutes Dunkel gehüllt. Noch wissen wir nicht, wie die Materie plötzlich lebendig wird, und noch viel weniger haben wir eine Ahnung davon, wie sich das zweite und wohl noch größere Wunder vollzieht, wie die lebendige Materie plötzlich zum Bewußtsein ihrer Existenz kommt, wie ein Wesen mit Selbstbewußtsein entsteht.«
»Das klingt ja schon etwas anders«, unterbrach der alte Inspektor den Redner.
»Wir stehen heute noch«, fuhr dieser unbeirrt fort, »auf dem Standpunkt des alten Hofrates. Alles was wir wissen, ist unser sicheres Wissen, daß wir nichts wissen, aber wir halten es auch noch weiter mit Sokrates, daß man der Wahrheit zustreben müsse, und wir führen den Kampf um die Wahrheit mit dem vollen Einsatz unserer Kräfte und Gaben. Langsam und kaum merklich, aber doch sicher sammeln wir Erkenntnis. Wenn wir dabei unseren Mitmenschen nützlich sind, wenn durch unsere Arbeit der Hunger von Millionen gestillt wurde, wenn wir für Millionen neue Lebensmöglichkeiten geschaffen haben, so kann uns dies Gefühl über die Wunden trösten, die wir nur allzu oft in dem Kampf mit der rätselhaften Sphinx, der Natur erhalten. So reizvoll und unentbehrlich ist uns dieser Kampf geworden, daß wir ihn kaum noch missen möchten. Wir halten es hier mit Lessing. Wenn uns auf der einen Seite kampflos die volle Wahrheit geboten würde und auf der anderen Seite das Streben nach Wahrheit unter dem Fluch ständiger Kämpfe und Irrtümer, wir würden doch das letztere wählen.«
»Ihr philosophiert heute abend, Herr Doktor«, unterbrach ihn der alte Inspektor. »Tut jetzt meinem Hauswein etwas mehr Ehre an, und eure Eierangelegenheit will ich ebenfalls in gutem Sinne fördern.« Mit diesen Worten zerbrach er das Kunstei und warf es den Hühnern vor, die gierig darüber herfielen.
»Die Tiere sind doch dämlich«, lachte der Alte. »Ich würde das Zeug nicht nehmen, aber es ist auch so gut. Jetzt wird aus dem künstlichen natürliches lebendiges Eiweiß, und wenn Sie in acht Tagen wiederkommen, sollen Sie für das künstliche ein lebendiges Ei erhalten.«
Die Reise zum Mars
Erschienen im Neuen Universum , Band 29, 1912
1
Es war im Jahre 2108. Die Menschheit hatte während der letzten zweihundert Jahre auf allen Gebieten gewaltige Fortschritte gemacht. Dank einer bewunderungswürdigen Nahrungsmittelindustrie lebten zehn Milliarden einer durchgehend hochkultivierten Menschenrasse auf dem Erdball, welcher im Jahre 1908 kaum fünfzehnhundert Millionen ernähren konnte. Die Wissenschaften standen in hoher Blüte.
Die Ergebnisse einer verbesserten und erweiterten Spektralanalyse
Weitere Kostenlose Bücher