Ein neues Paradies
Essenszeit.«
»Aber wie soll das mit der Nahrungserzeugung anders werden?« nahm Erich eine frühere Bemerkung des Inspektors wieder auf.
»Der Weg ist klar erkennbar«, erwiderte dieser. »Zucker und Spiritus machen wir jetzt schon aus dem Holz. Die chemischen Fabriken stellen aber den Spiritus auch bereits direkt aus seinen Grundstoffen, das heißt aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff her. Bereits heute ist dieser Spiritus ebenso billig wie unser Holzspiritus, vom Kartoffelspiritus, dessen Fabrikation man vor fünfzig Jahren noch betrieb, gar nicht zu reden. Während uns hier der Nutzen des Spirituswaldes allmählich abgegraben wird, sind unsere Chemiker auf der anderen Seite dabei, die Zellulose direkt und auf billigem Wege in Stärkemehl zu verwandeln. Gelingt ihnen das, so ist es mit dem Bau von Kartoffeln ziemlich sicher vorbei; und vielleicht geht es dann auf diesem Wege überhaupt weiter.«
»Das wäre die Stärke«, rief Erich, der mit Interesse zugehört hatte, »damit scheidet die Kartoffel aus, aber noch bleibt das Getreide, bleibt Weizen und Roggen, Hafer und Gerste, die außer dem Stärkemehl die Kleberstoffe, das heißt Eiweiße in Menge enthalten. Es bleiben Fleisch und Fisch, deren Zusammensetzung eine so komplizierte ist, daß sie allen Anstrengungen der Chemiker spotten dürften.«
»Nicht für immer«, murmelte der alte Inspektor, »wer lebt, wird sehen!«
3
Unsere Freunde waren wieder zur täglichen Arbeit der Schule zurückgekehrt. Ganz ohne Folgen war ihr Ausflug aber nicht geblieben. Erich, der bereits früher für die exakten Naturwissenschaften großes Interesse gezeigt hatte, legte sich seit der Zeit besonders auf die Chemie, so daß die Sache auch zuletzt dem Doktor Bunsen auffiel.
»Jetzt oder nie!« dachte Erich, als Doktor Bunsen ihn einmal deshalb fragte, und teilte ihm sein großes Interesse an der künstlichen Zelluloseherstellung mit.
»Also das war des Pudels Kern!« unterbrach ihn Doktor Bunsen lachend. »Ich glaube nicht, mein lieber Freund, daß Sie dabei mit einfachen Mischungen zum Ziele kommen werden. Alkohol und Zucker, das mag allenfalls gehen. Das haben unsere Urgroßväter schon 1906 gekonnt, aber Stärke, das ist ganz etwas anderes. Sie wissen doch, daß die Stärke keine gleichartige homogene Masse ist, sondern daß sie aus einzelnen Körnern, den Stärkekörnern besteht, welche gewissermaßen organische Kristalle darstellen. Wir befinden uns bei der Stärke schon hoch in der organischen Natur. Vielleicht nicht allzuweit von jenem Punkt, an welchem der organische Stoff den ersten schwachen Versuch unternimmt, Einzelindividuen, organische Kristalle, zu bilden, von denen der Weg dann in geschlossener Reihe zum ersten Lebewesen, zur organischen Zelle führt. Sie erinnern sich aus dem Unterricht vielleicht jenes bekannten Versuches mit dem Paraazooxzimtsäureäthyläther, welcher in einer Verbindung mit Monobrominaphthalin Kristalle bildet, welche bereits Bewegungen zeigen, die denen der einfachsten Lebewesen, der einzelligen Bakterien nicht unähnlich sind.«
»Ich erinnere mich wohl, Herr Doktor«, sagte Erich, »als wir damals in Ihrem Projektionsapparat diese Kristalle wimmeln und kriechen sahen, dachten wir alle an den alten Goethe und an den gelehrten Wagner, der einen Homunkulus in der Retorte baut.«
»Etwas Ähnliches«, fuhr Doktor Bunsen fort, »muß auch bei der Stärke geschehen, und weil Sie sich für die Sache interessieren, will ich Ihnen heute nachmittag meine eigenen Versuche auf diesem Gebiet zeigen.«
Am Nachmittag suchte Erich Doktor Bunsen in seiner Privatwohnung auf. »Es ist nett, daß Sie pünktlich kommen«, begrüßte ihn dieser. »Ich habe gerade einen Versuch vorbereitet, und in einem halben Stündchen können wir den ganzen Vorgang durchmachen. Ich habe hier«, fuhr er fort, »etwas von jener reinen Zellulose, die Ihnen sorgenvolle Stunden bereitet hat. Die Zellulose will ich hier mit zwei Flüssigkeiten mischen, deren Zusammensetzung vorläufig mein Geheimnis bleibt. Ich kann Ihnen jedoch versichern, daß es weder Salzsäure, noch die bei Ihnen so beliebte Salpetersäure ist. Um nun die folgenden Vorgänge zu erklären, will ich die Lösung zwischen zwei Uhrgläser stellen und in meinen großen Projektionsapparat schieben, damit wir die Dinge auf dem weißen Schirm stark vergrößert beobachten können.« Mit diesen Worten schob Doktor Bunsen das gefüllte Glas in den Apparat, und zischend flammte die Bogenlampe auf. Auf dem
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