Ein neues Paradies
Spiritus und Zucker allein kann der Landwirt bei der heutigen Konkurrenz ohnedies nicht leben.«
Zwei Jahre sind seit dem letzten Ereignis vergangen. Unsere beiden Freunde sitzen bereits in der Sekunda. Auch Doktor Bunsen hat mit der Tertia nichts mehr zu tun. Seine epochemachende wirtschaftliche Herstellung der Stärke aus der Zellulose hat ihm eine Professur an der Universität eingebracht.
Heute ist wieder ein für unsere Freunde freier Schultag, und wieder sind sie auf dem Bredowschen Gut zu Besuch. An der Stelle, wo früher der Schafstall stand (den Stall für die Mähmaschine, meint Kurt, der ungern einen faulen Witz unterdrückt), erhebt sich eine schmucke neue Fabrik in rotem Ziegelbau. Der alte Inspektor ist noch da, aber er sieht bereits die Zeit voraus, da hier alles Fabrik und Maschine sein wird. Gegenwärtig verkauft das Gut nur noch wenig Zellulose nach außerhalb. Die überwiegende Menge geht in die Stärkefabrik, in welcher das Bunsensche Verfahren im großen betrieben wird. Wir betreten mit unseren Freunden den Raum. »Das hier ist nun der Mischkessel«, beginnt der alte Inspektor seinen Vortrag. »Hier wird die Zellulose mit der Bunsenschen Flüssigkeit angerührt. Ein mechanisches Rührwerk sorgt dafür, daß sich alles löst. In einer halben Stunde sind fünfzig Zentner Zellulose in diesem Riesenbottich in Lösung gegangen. Diese Pumpe hier hebt die Flüssigkeit in den Umformerkessel, in welchem sie durch Elektrizität in Stärke verwandelt wird. Der Umformerkessel ist lang und schmal, damit die Magneten durch die ganze Masse wirken. In ebenfalls einer halben Stunde vollzieht sich hier die Umwandlung der Zelluloselösung in Stärke. Der Unformerkessel arbeitet also mit dem Maschinenkessel in passender Weise zusammen. Nach einer halben Stunde holt ein Schneidwerk die fertige Stärke heraus und bringt sie wieder in die Zentrifugen. Die Bunsensche Flüssigkeit wird abgeschleudert und wieder von neuem für die Auflösung frischer Zellulose benutzt. Die Stärke wird mit frischem Wasser zweimal durchgespült und dann bei mäßiger Temperatur getrocknet. Nun wollen wir auf unseren Speicher gehen.« In den oberen Räumen der Fabrik standen Tausende von Säcken, welche die klare weiße Stärke enthielten. »Wir fabrizieren in der Stunde hundert Zentner Stärke«, erläuterte der Inspektor. »Da wir in zwei Schichten täglich sechzehn Stunden arbeiten, so haben wir täglich sechzehnhundert Zentner fertiger Stärke auf das Lager zu nehmen.«
»Gibt es denn so viel Bäume?« unterbrach Erich, »dann müßt ihr ja jedes Jahr einen großen Wald niederschlagen, um die nötige Zellulose zu gewinnen.«
»Unsere Bäume reichen in der Tat nicht mehr«, sagte der Inspektor, »aber wir haben einen Teil unserer Felder für den Anbau der indischen Zellulosepflanze unter den Pflug genommen. Es ist dies ein mächtiges krautartiges Gewächs, welches bei guter Düngung unglaublich wuchert und im zweiten Jahr bereits zwei Meter hohe holzige Stauden liefert, welche bis in die feinen Stengel hinein aus ziemlich reiner Zellulose bestehen. Die Blätter geben ein gutes Viehfutter, die Stämme kommen sofort in die Zellulosefabrik. Durch geeignete Züchtung haben wir Pflanzen erlangt, welche bereits im zweiten Jahr armdicke Stämme haben und sehr große Ausbeute ergeben. Außerdem verarbeiten wir unser gesamtes Getreidestroh auf Zellulose. Ferner sind Vorbereitungen im Gange, um auch unser großes Moor für die Gewinnung reiner Zellulose nutzbar zu machen. Dann können wir auch aus dem Torf Stärke gewinnen.«
Unsere Freunde verließen das Gut diesmal nicht ohne den üblichen Spazierritt zu machen, und in der Tat zeigte sich eine gewisse Veränderung im Aussehen der Kulturen. Große Flächen, die vor zwei Jahren Getreide getragen hatten, machten von weitem den Eindruck niedriger Wälder. Es waren jene Flächen, die dem Anbau der Zellulosepflanze dienten. »Das ist nur ein Übergang«, meinte der alte Inspektor, bevor sie sich verabschiedeten, »ich glaube, der Tag ist nicht mehr fern, an dem sie auch die Stärke aus Kohle und Wasser direkt zusammensetzen.« Wiederum waren fünf Jahre verstrichen. Unsere beiden Freunde haben mit guten Zeugnissen die Schule verlassen und ihren Lebensberuf gewählt. Kurt ist auf dem väterlichen Gut als Eleve eingetreten, um vor dem landwirtschaftlichen Hochschulstudium ein Jahr lang den praktischen Betrieb kennenzulernen. Erich hat sofort das Studium der Chemie ergriffen und ist Assistent seines
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