Ein silbernes Hufeisen
vielleicht tat es das doch? Nun, wo sie Tony wiedergesehen hatte, vielleicht hatte sie festgestellt, dass sie ihn vermisste, dass sie ihn ebenfalls noch liebte? Natürlich könnte sie ihm dies nicht einfach laut mitteilen.
Tony umarmte sie noch einmal fest und sie bat ihn ein weiteres Mal, heute Abend zu Vicky zu kommen, warum auch immer, mit einer besonders eindringlichen Stimme. Ein weiteres Mal zuckte er daraufhin jedoch lediglich ratlos die Schultern und schließlich öffnete er ihr die Eingangstüre.
Draußen auf der schmalen Straße direkt vor seinem Anwesen stand ein geräumiger, eleganter Wagen in einem polierten, glänzenden Royalblau, in dessen goldenen Beschlägen die Sonne sich hübsch spiegelte. An diesen prachtvollen Wagen gelehnt, mit den Händen in der Hosentasche und in einen hellen Anzug und einen eleganten, dünnen Mantel gekleidet, stand Alexander Lovett, den Tony zum letzten Mal an Vickys tragischer Hochzeit gesehen hatte und der sich seitdem nicht wesentlich verändert zu haben schien, wenn er auch einen wesentlich entspannteren Eindruck machte. Im Grunde genommen hatte Tony ihn noch niemals leiden können, selbst wenn er ihn nicht wirklich gut kannte – für ihn war er die Verkörperung von allem, was Tony hasste an den Menschen der gehobenen Klasse. Und nun, wo er ihn ansah und wusste, dass es sich bei diesem Mann um den Ehemann seiner Guinievaire handelte und wenn er daran dachte, wie Lord Lovett ihn behandelt hatte in der Nacht im November, in der sie sich besser kennen gelernt hatten, konnte Tony nicht anders, als so etwas wie Neid, Missgunst und Hass zu verspüren. Natürlich, er hatte nichts getan, was Tony nicht auch getan hätte, er hatte einfach seine Chancen genutzt und hatte nicht mehr als Glück gehabt, dass Tony niemals mit Guinievaire hatte fliehen können oder dass Marion sich gegen ihn verschworen hatte oder dass Guinievaires Briefe Tony nicht erreicht hatten. Alexander hatte sie bloß durch Zufälle bekommen. Und dennoch, Tony musste ihn verabscheuen, einfach weil er das untrügliche Gefühl hatte, dass dieser schreckliche Mann sie nicht verdiente.
Unzufrieden hob Guinievaire die langen Hände, als sie an Tony, der missmutig im Türrahmen stand, vorbei heraus an die Luft trat und zwei der Stufen, die auf den Bürgersteig führten, hinabstieg.
„Wir hatten ausgemacht, du wartest um die Ecke, Alex,“ seufzte sie.
Wie ausgesprochen umsichtig von ihnen, dachte Tony derweil sehr dankbar. Ihr Ehemann holte sie ab und er hatte sie hierher gebracht, zu Tony, und nun nahm er sie wieder mit, als bedürfe sie seiner strengen Aufsicht. Traurig blieb Tony im Schatten stehen und beobachtete die beiden Eheleute mit einer seltsam starken Faszination. Es interessierte ihn so sehr, wie Guinievaire mit ihm umging, mit dem Mann, den sie liebte, denn zweifellos war sie vollkommen anders zu ihm, als sie es zu Tony gewesen war. Lord Lovett hatte sich aufgerichtet und war seiner Frau einige, wenige Schritte entgegengekommen, dabei lag ein schiefes, amüsiertes Grinsen auf seinen Lippen. Zuerst warf er dabei Tony einen kurzen, eindringlichen Blick zu, dann widmete er seine Aufmerksamkeit jedoch allein seiner Frau. Er war ebenso groß wie sie, selbst jetzt, wo sie erhöht auf einer Treppe stand.
„Ich habe es mir aber anders überlegt,“ antwortete er. Er hatte eine glatte, sanfte Stimme, die perfekt zu seiner übrigen Erscheinung passte und die ihn dadurch noch unangenehmer machte, denn alles an ihm passte einfach viel zu gut und zu harmonisch zusammen.
„Du bist wirklich unsensibel,“ murrte Guinievaire in einer Lautstärke, als hoffe sie, Tony könne sie nicht hören, aber er verstand sie ausgezeichnet und er wusste nicht, ob ihre Umsicht ihn kränken oder freuen sollte. Offensichtlich hatte Guinievaire Feingefühl zeigen wollen, ein Charakterzug, der ihr zuweilen ausgesprochen fremd war.
Tonys eventuelle Gefühlsregungen kümmerten den großen Lord Alexander Lovett hingegen ganz und gar nicht, wenn er nicht sogar in diesen Momenten versuchte, ihn zu provozieren. Genussvoll legte er eine Hand auf Guinievaires Hüfte, mit der anderen zog er ihr Gesicht näher an das seine und dann küsste er sie, langsam und einprägsam, um besonders interessant auf seinen einen, kläglichen Zuschauer zu wirken. Tony wurde schlecht vor Eifersucht, ein Gefühl, das ihm neu war und das er bereits leidenschaftlich hasste, trotzdem behielt er die beiden gut im Auge: sie zog den Kopf nicht empört weg, sie
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