Ein Sohn für den Scheich
“aber wenn du dich jetzt sehen könntest, wüsstest du, warum ich befürchte, dass unser Geheimnis bei dir nicht sicher ist. Die Überraschung steht dir doch förmlich auf der Stirn geschrieben.”
Hassan hielt den Zeitpunkt für gekommen, Leona zu gestehen, dass Raschid ihn schon vor einer knappen Woche ins Vertrauen gezogen hatte. Doch ehe er sich dazu durchringen konnte, klopfte es an der Tür.
“Wo bleibt ihr denn?”, fragte Rafiq ungehalten. “Die ersten Gäste fahren vor, und ihr habt nichts Besseres zu tun, als euch im Schlafzimmer zu verschanzen.”
Das hatten sie in der Tat nicht. Doch Hassan sah widerwillig ein, dass dies der denkbar ungünstigste Zeitpunkt war, die Versöhnung mit Leona zu besiegeln, indem er ihr das rote Kleid, das sie eben erst angezogen hatte, auf der Stelle wieder auszog.
“Wir sind in fünf Minuten unten”, versicherte er Rafiq.
Leona begann sich zu schminken. Als Hassan sah, wie sie den Lippenstift auftrug, wurde der Wunsch, sie zu küssen, fast unwiderstehlich. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es ihm, sich daran zu erinnern, dass einem ersten ein zweiter Kuss und schließlich zwangsläufig etwas folgen würde, wofür fünf Minuten beim besten Willen nicht ausreichten.
Schweren Herzens wartete er, bis Leona das Make-up aufgetragen und das Haar mit einem golddurchwirkten Tuch zusammengebunden hatte.
“Dann kann die Vorstellung ja beginnen”, munterte er sie auf und führte sie die breite Treppe ins Foyer hinunter, in dem sich bereits zahlreiche Gäste eingefunden hatten. Doch jedes Geräusch verstummte, als Hassan und Leona die Treppe hinabschritten, um im Namen des erkrankten Scheichs die Feier zu Ehren seines dreißigjährigen Thronjubiläums zu eröffnen.
Die Ärzte hatten Khalifa dringend geraten, mit Rücksicht auf seine Gesundheit dem Fest fernzubleiben – was er empört zurückgewiesen hatte. Schließlich war es sein Jubiläum, und soweit er vom Krankenbett aus dazu in der Lage gewesen war, hatte er sich intensiv an der Vorbereitung beteiligt.
Nach langen Diskussionen hatten sich die Ärzte auf den Kompromiss eingelassen, dass er sich zwar für einige Stunden unter die Gäste mischen durfte, dabei jedoch im Rollstuhl sitzen sollte, um sich nicht zu überfordern.
“Wo ist Rafiq?”, erkundigte sich Leona leise bei Hassan, während sie eine Hand nach der anderen schüttelte. “Müsste er die Gäste nicht auch begrüßen? Schließlich bist du nicht Khalifas einziger Sohn.”
“Ich habe ihn mit etwas anderem beauftragt”, flüsterte Hassan ihr zu, ehe er einen ausländischen Diplomaten und dessen Frau begrüßte, die sich respektvoll vor ihm verneigten.
Das Foyer war bereits überfüllt, als Scheich Abdul eintraf. Zu Leonas Verwunderung war er allein gekommen und begrüßte sie geradezu überschwänglich – was sie fast so sehr wunderte, wie es sie freute, dass ihr ein Wiedersehen mit Zafina erspart blieb.
Endlich traten auch Raschid und Evie durch das große Portal. Als sie sich bis zu den Gastgebern durchgekämpft hatten, schenkten sie Leona ein Lächeln, das sie unwillkürlich erröten ließ. Hassan schien sich mit ihnen verschworen zu haben, denn er sah sie mit einem Blick an, der unschwer verriet, woran er in diesem Moment dachte.
“Lass das gefälligst”, forderte sie ihn auf. “Sonst verrätst du uns noch.”
“Und wenn schon”, erwiderte Hassan gleichgültig. Plötzlich sah er, wie sich Leonas Gesichtsausdruck völlig veränderte.
Doch dass er nicht den geringsten Anlass hatte, sich Sorgen um sie zu machen, wurde ihm klar, als er bemerkte, was ihre Verwunderung ausgelöst hatte.
Oder besser, wer. Denn ihr ungläubiger Blick galt eindeutig den beiden Männern, die in diesem Moment das Foyer betraten und sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnten.
“Dad!”, rief Leona, als sie endlich begriffen hatte, wer sich ihr näherte, und stürzte ihrem Vater entgegen, um ihn in die Arme zu nehmen.
“Was macht ihr denn hier?”, fragte sie ungläubig, als sie in dem anderen Mann Ethan Hayes erkannte. “Ich denke, ihr seid in San Estéban.”
“Wenn Hassan uns nicht eingeladen hätte, wären wir da jetzt sicherlich auch”, erwiderte Victor Frayne gerührt.
Ohne sich zu besinnen, wandte sich Leona um und sah zu Hassan. “Danke”, sagte sie. “Wenn ich dich nicht schon über alles lieben würde, hättest du es mit dieser Überraschung garantiert geschafft.”
“Wenn du willst, dass ich rot werde und uns verrate, mach nur so
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