Ein Sohn für den Scheich
können, warum, wusste sie plötzlich, was ihn bei seinem Vater festgehalten hatte. Im selben Moment schlug sie die Decke zurück, verließ das Bett und zog sich in aller Eile den Morgenmantel über.
Den Gürtel schloss sie erst, als sie barfuß den Korridor entlang- und die Treppe hinunterlief. Endlich erreichte sie die Privatgemächer des Scheichs, wo sich ihr Verdacht schmerzlich bestätigte. In den Fluren war es taghell, als sollte mit dem Licht der Lampen dem Tod getrotzt werden, mit dem Khalifa in diesem Moment rang.
Das jedenfalls sagte Leona der Instinkt mit einer Sicherheit, die sie das Schlimmste befürchten ließ. Umso überraschter war sie, als sie das Schlafzimmer ihres Schwiegervaters leer vorfand.
Sie wollte es in ihrer Panik bereits wieder verlassen, da hörte sie aus dem Nebenzimmer Geräusche, die nichts Gutes verhießen. Ohne anzuklopfen, ging sie hinein und fand sich unvermittelt in einem komplett ausgestatteten Krankenzimmer wieder, in dessen Mitte sich eine Menschentraube gebildet hatte.
Die weißen Kittel, in die Männer wie Frauen gekleidet waren, machten ihr unmissverständlich klar, dass es sich um Ärzte und Schwestern handelte, die sich verzweifelt um den Patienten bemühten, der vor ihnen auf einem Bett lag und an zahlreiche medizinische Geräte angeschlossen war.
Endlich erkannte sie auch Hassan und Rafiq, die am Fußende des Bettes standen. Ihre Mienen machten Leona augenblicklich klar, dass der Zustand des Scheichs noch kritischer war, als sie befürchtet hatte.
Doch mehr als die Angst bedrückte sie die menschenverachtende Kälte, von der die Atmosphäre in dem weiß gefliesten Raum bestimmt war. Das grelle Licht der Scheinwerfer und das Flimmern der Monitore, mit denen Puls und Blutdruck des Scheichs überwacht wurden, waren ebenso unerträglich wie das bedrohliche Piepen aus dem Lautsprecher, das schonungslos offenbarte, wie unregelmäßig sein Herz schlug.
Als einer der Ärzte eine Spritze aufzog und die Kanüle gegen das Licht hielt, schritt Leona ein, ohne sich zu besinnen. “Ihr bringt ihn noch um!”, platzte sie heraus und fiel dem Arzt in den Arm. “Viel mehr als eure medizinischen Künste braucht Khalifa jetzt seine vertraute Umgebung und die Nähe seiner Söhne!”
“Bitte reiß dich zusammen, Leona”, versuchte Hassan sie zur Besinnung zu bringen.
Doch auch wenn ihr Entschluss spontan gewesen war, wusste sie sehr genau, was sie tat. “Sag ihnen, Sie sollen sofort die Maschinen abschalten und ihn auf das Sofa in der Bibliothek legen. Von mir aus lese ich ihm so lange aus einem seiner Bücher vor, bis es ihm wieder besser geht – selbst wenn es Tage dauern sollte. Wenn er hier bleibt, wird er die Nacht nicht überleben.”
“Glaub mir, die Ärzte geben ihr Bestes”, wandte Rafiq ein, doch ihm war deutlich anzuhören, wie wenig er darauf vertraute, dass das reichen würde, um das Leben seines Vaters zu retten.
Leona hingegen war sich sicher, dass keine noch so große ärztliche Kunst ihrem Schwiegervater helfen konnte. Das konnte nur das Wissen darum, dass er gebraucht wurde.
Deshalb stellte sie sich neben das Bett und nahm Khalifas Hand. Die Krankenschwester, die sie daran hindern wollte, stieß sie rüde zur Seite.
“Scheich Khalifa”, sprach sie den Sterbenden an, ohne sich ihrer Tränen zu schämen, “können Sie mich hören?”
Zwar öffnete er nicht die Augen, doch eine kaum spürbare Bewegung seiner Hand bestätigte Leona in der Annahme, dass er bei Bewusstsein war und sehr genau mitbekam, was um ihn her geschah.
“Sie dürfen uns jetzt nicht im Stich lassen”, sagte sie beinahe vorwurfsvoll.
“Was tust du, Leona?” Hassan war regelrecht empört darüber, dass sie es wagte, so mit seinem Vater zu sprechen, und die Blicke der Umstehenden ließen keinen Zweifel daran, dass auch sie ihr Verhalten zutiefst missbilligten.
“Wissen Sie auch, warum?”, fragte Leona, ohne sich beirren zu lassen. “Ich erwarte ein Kind, und das braucht seinen Großvater.”
Als Hassan hörte, wozu sich Leona hinreißen ließ, drohte er die Beherrschung zu verlieren. “Was fällt dir ein?”, fragte er außer sich. “Willst du ihn mit Gewalt ins Grab …?
Im selben Moment sah er mit eigenen Augen, dass sein Vater die Hand bewegte, als wollte er Leona signalisieren, dass er jedes Wort verstanden hatte.
“Er kann uns hören!”, rief Leona erleichtert. “Nimm seine Hand”, forderte sie Hassan auf, “und erzähl ihm von unserem Kind.”
Hassan zögerte
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