Ein süßes Abenteuer
seinen Verfolger nicht bloß eingebildet hatte. Zweifellos verdankte er die Prügel seinem Versuch, die Entführungen aufzuklären.
Zum Teufel! Als ob ihn das davon abhalten könnte, dieser Sache auf den Grund zu gehen! Weder Drohungen noch Bitten noch die Gleichgültigkeit der Behörden würden ihn jetzt noch von seinem Pfad abbringen. Im Gegenteil, sie bestärkten ihn in seinem Entschluss. In Zukunft musste er sich eben besser in Acht nehmen. Trotz seiner Schmerzen konnte er noch klar genug denken, um zu begreifen, dass kein gewöhnlicher Halunke ihn angegriffen hatte. Wieso lag dem Richter, den Bow Street Runners und der Verbrecherbande so viel daran, seine Ermittlungen zu vereiteln?
Lem zuckte erschrocken zusammen, als er den beschmutzten Rock und das zerrissene Krawattentuch seines Herrn sah. „Haben Straßenräuber Sie übergefallen, Sir?“
„Nur ein einzelner Übeltäter“, bekannte Neville. „Er wollte mich nicht ausrauben, sondern hat mir lediglich noch schlimmere Gewalt angedroht, falls ich die Suche nach den Dienstmädchen fortsetze.“
„Und werden Sie nun aufgeben, Sir?“
„Bei Gott, nein!“, donnerte Neville, den seine ungewohnte Heftigkeit ebenso verblüffte wie Lem. „Aber ich möchte nicht, dass diese Schurken dir etwas antun. Wenn du dich lieber doch nicht an meinem Plan beteiligen willst, kannst du es gerne sagen.“
„Wie bitte? Ich soll meine Belinda im Stich lassen, während Sie an meiner Stelle Ihr Leben aufs Spiel setzen? Wofür halten Sie mich, Sir?“
„Meinst du das wirklich ernst, Lem?“
„Ja! Ich scheue keine Gefahr.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wann werden wir Ihren Plan durchführen, Sir?“
„Gleich morgen. Je länger wir warten, desto mehr verschlimmert sich Belindas Lage. Und nun sollten wir beide versuchen, noch ein wenig zu schlafen.“
Letztendlich lagen beide noch lange wach, denn Lem sorgte sich um Belinda, während Neville an Lem denken musste. Bislang hatte er seinen Lakaien nie viel Beachtung geschenkt. Sie gehörten einfach zu seinem Alltag dazu, schon seit seiner frühesten Kindheit. Durch ihre harte Arbeit ermöglichten sie ihm ein bequemes Leben, ja mehr noch, ohne sie käme er niemals zurecht! In Zukunft würde er mehr Notiz von ihnen nehmen.
Lem beispielsweise besaß einen regeren Verstand als George oder Frank Hollis, und doch musste er für den Rest seines Lebens Türen für die Herrschaft öffnen und schließen und andere niedrige Arbeiten verrichten. Außerdem sprach er ebenso gepflegt wie die adligen Damen und Herren, die er bediente. Ohne ihren gemeinsamen Einsatz für Belinda hätte Neville das nicht einmal bemerkt! Sobald dies alles hinter ihnen lag, würde er Lem eine Möglichkeit bieten, sein Talent zu nutzen.
Endlich schlief er ein, nur um kurz vor dem Morgengrauen schon wieder aufzuwachen. Er hatte von Diana Medbourne geträumt, einer weiteren begabten Person, die ihn dazu brachte, seine bisherige Lebensweise zu hinterfragen. Aber eines stand fest: Ganz gleich, wie sehr er sich änderte, er würde niemals in die Fußstapfen seines unseligen Vaters treten.
5. KAPITEL
„Verzeihen Sie, Sir, aber Sie sehen ganz anders aus als gewöhnlich“, bemerkte Lem, nachdem er seinem Herrn beim Ankleiden geholfen hatte. An diesem Abend wollte Neville mit ihm eines der beiden Freudenhäuser besuchen, deren Adresse Jackson ihm gegeben hatte.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen“, erwiderte Neville munter. „Genau das will ich ja. In diesem Aufzug wird mich niemand wiedererkennen, meinst du nicht auch?“
„Schnieke, sehr schnieke“, meinte Lem, um seine Kenntnisse des Londoner Jargons zur Schau zu stellen. „Nein, im Ernst, Sir, ich staune, dass Sie in einer Hose mit so weitem Schlag überhaupt gehen können. Und die Weste, die Sie da tragen, ist ein Muster an Geschmacklosigkeit.“
„Ja, nicht wahr?“ Neville grinste seinem Spiegelbild zu. „Ich glaube, kein einziges dieser Kleidungsstücke würde vor Beau Brummells Augen Gnade finden. Nicht einmal die Stiefel.“
„Die am allerwenigsten“, bestätigte Lem.
„Stimmt. Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, du hast dich auch sehr schnieke ausstaffiert. Bitte entschuldige meine Frage, aber woher hast du diesen Ausdruck?“
„Von Ihrem Butler, Sir. Als ich von Ihrem Landsitz nach London kam, bat ich ihn, mir beizubringen, wie man hier spricht, weil die anderen Dienstboten sich über meinen ländlichen Dialekt lustig machten.“
„Hmm … Vielleicht
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