Ein Toter fuehrt Regie
Fünfzig-Mark-Scheine, ein bißchen Kleingeld, ein paar Karpfenschuppen und ein Firmenausweis.
E UROMAG – E UROPÄISCHE M ASCHINENBAU -A KTIENGESELLSCHAFT – Dienstausweis Nr. C 422 für Ossianowski, Otto-Wilhelm, geb. 25.10.1920, beschäftigt bei: Sondergruppe für Systemplanung.
«Ich werd verrückt!» sagte Koch.
Alle Mitglieder der E UROPÄISCHEN M ASCHINENBAU -A KTIENGESELLSCHAFT im In- und Ausland werden gebeten, den Inhaber dieses Ausweises bei der Erledigung seiner Aufgaben zu unterstützen und ihm notfalls Schutz und Hilfe zu gewähren.
Wie schön, dachte Mannhardt, die große EUROMAG-Familie.
Ausgestellt im Juni 1970. Zwei wuchtige Stempel. Beglaubigt durch einen Generalbevollmächtigten. Ein Paßbild, Photomaton.
«Mensch, ist der häßlich», sagte Koch. «So kann doch keiner aussehen, der muß doch ‘ne Maske aufhaben.»
Mannhardt trat einen Schritt zur Seite und sah dem Toten ins Gesicht. Ein bißchen Seehund, ein bißchen Gorilla – das alles aber nicht schwärzlich-blau, sondern rosig. Dazu die rötlichen Haare. Die weiten Nasenlöcher mußten, wenn er am Tisch saß, gerade nach vorn gerichtet sein. Und Blumenkohlohren, wie bei einem altgedienten Catcher.
Aber stolzer Mitarbeiter der E UROMAG .
Gewesen.
«Auf welche Art und Weise man nicht alles Selbstmord begehen kann», sagte Koch.
Mannhardt zuckte die Achseln. «Exzentrisch war er sicher – was bleibt so einem Wechselbalg schon übrig. Aber es könnte ihn ebensogut jemand auf den Stuhl gesetzt haben und dann…»
Koch nickte, und Mannhardt sah ihm an, was er dachte: Industriespionage, Bestechung, Erpressung… Warum nicht? Auszuschließen war nur, daß ihn ein Nebenbuhler aus Eifersucht erschossen hatte; sonst war alles drin.
«Vielleicht hatte er ‘ne leichte Macke, und der Mörder hat das ausgenutzt, um uns reinzulegen», sagte Koch.
«Zu neunundneunzig Prozent ist es ein Selbstmord», sagte Mannhardt mit plötzlicher Bestimmtheit.
«Siehst du ‘n Abschiedsbrief oder so was?»
«Nein… Aber der dürfte keinen gehabt haben, von dem er sich verabschieden mußte.»
Wirklich? Hatte nicht diese extreme Häßlichkeit etwas Faszinierendes?
Ossianowski – der Name paßte wie die Faust aufs Auge. Wenn der Mann zum Film gegangen wäre, hätte er’s zu Weltruhm bringen können. Aber als kaufmännischer Angestellter…
Mord oder Selbstmord?
Wenn man diesen Gnom hier sah und sein verrücktes Haus, kam nur Selbstmord in Frage: Ekel vor sich selbst und der Welt, die ihn nicht mochte, weil er sie mit seinem Anblick störte. Aber eben weil das so offensichtlich war, konnte es jeder halbwegs vernünftige Mensch für seine Zwecke ausgenutzt haben.
Doch was gab es schon für Gründe, diesen mißglückten Homunculus hier zu ermorden?
Man mußte sehen.
Koch meldete: Bis jetzt keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens in das Haus, keine fremden Fingerabdrücke.
Hm… Mannhardt hatte sich noch immer nicht von der Stelle gerührt. Ein Ritualmord? Eine bislang in Berlin unbekannte Sekte? Es sprach einiges dafür – auf dem Tisch stand ein siebenarmiger Leuchter mit heruntergebrannten Kerzen… Oder eine homosexuelle Beziehung? Verheiratet war er offenbar nicht. Und Geld für Strichjungen hatte er vermutlich. Ein nekrophiler Freund? Das war zu prüfen. Oder doch was Rationales: Er war bestochen worden, er hatte Interessenten Tips gegeben, er hatte Geheimnisse an Illustrierten verraten… Schließlich war er Mitarbeiter einer Stabsstelle, mit Sicherheit gut informiert…
Es gab eine Menge zu tun.
«Sonst sehen die Räume im Erdgeschoß und oben ganz normal aus», berichtete Koch. «Zwar wie ein Museum, aber…»
Mannhardt hatte gar nicht bemerkt, daß er fortgewesen war.
«In der Küche sitzt die Frau, die ihn gefunden hat», fuhr Koch fort. «Sie macht hier jede Woche einmal sauber.»
«Das ist kein Motiv.»
«Sie heißt Elfriede Kriegshammer.»
«Das auch nicht.»
Ein Quatsch, was er da zusammenredete. Total überdreht. Ja, das war er. Konnte auch nur ihm passieren – ‘ne Leiche an so ‘nem Morgen. Dem Erik Ode passierte so was nie… Scheißberuf. Fernsehkommissar müßte man sein.
Sie fanden Elfriede Kriegshammer auf einem Küchenstuhl. Sie war etwa fünfzig Jahre alt und recht adrett, aber ein wenig einsilbig.
Ja, sie habe Herrn Ossianowski gefunden, als sie im Zimmer saubermachen wollte.
Nein, letzte Woche habe sie nichts Auffälliges an ihm bemerkt.
Ja, sie mache schon seit fünf Jahren hier sauber.
Nein,
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