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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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bemühen muss. Eros sieht hier verdächtig aus wie ein Philosoph, ja wie der bedürfnislose und unangepasste Sokrates selbst. Dessen Verhalten erregte ja den Zorn nicht nur der vornehmen Athener Bürger, sondern auch seiner eigenen Ehefrau Xanthippe, wie man weiß. Weshalb Sokrates einst zu einem Heiratswilligen gesagt haben soll: »Mein Freund, heirate. Denn entweder wirst du durch die Heirat glücklich oder ein Philosoph.«
    Doch zurück zu Platon! Für ihn ist also der Philosoph, der Suchende, zugleich der größte Liebende. Die sinnliche, die leibliche Liebe will Platon deshalb nicht verdammen – das unterscheidet ihn ganz eindeutig von manch späteren christlichen Denkern. Aber sie ist ihm doch, als Vorstufe, weniger wertvoll als die Liebe, die ausschließlich nach dem Wahren, Schönen und Guten fragt. Daher kommt nun auch der Begriff der platonischen Liebe, den allerdings nicht Platon selbst erfunden hat, sondern viele Jahrhunderte später Marsilio Ficino aus Florenz. Die platonische Liebe richtet sich auf das Ideelle statt auf das Leibliche. Sie ist übrigens nur zwischen Gleichen möglich, also zwischen zwei Menschen, die in ihrer seelischen Entwicklung auf gleichem Stand sind – was zugleich bedeutet, dass es innerhalb der Beziehung kein Machtgefälle und keine Abhängigkeiten gibt.
    Ein großes Liebesideal hat der Grieche hier aufgestellt! Jean-Jacques Rousseau wird es im 18. Jahrhundert die wahre Philosophie für Liebende nennen. Eingebettet in Platons Ideenlehre, trat die platonische Liebe einen Siegeszug durch das ganze Abendland an. Dazu trug die Vermischung des Christentums mit der griechischen Philosophie sehr viel bei. Im dritten nachchristlichen Jahrhundert begegnete das Christentum freilich nicht mehr der reinen Lehre Platons, sondern dem sogenannten Neuplatonismus. Den entwickelte vor allem Plotin als kosmisches Drama. Sein Inhalt: Das Eine, Gute an der Spitze allen Seins, das wir schon von Platon kennen, besitzt eine göttliche Qualität. Und es ist so viel, so intensiv, dass es einfach nach unten überfließt. Das wird Emanation genannt. Die Emanation erfolgt stufenweise, und jede Stufe ist das unvollkommene Abbild der nächsthöheren Stufe. Je weiter es hinuntergeht, desto weniger Seinsqualität ist also vorhanden. Die erste Ausstrahlung ist der Geist, der Inbegriff aller Ideen. Auf der nächsten Stufe kommt die Weltseele. Sie enthält alle Einzelseelen in sich. Die nun verbinden sich mit der Materie. Die Materie aber steht ganz unten und hat keine Seinsqualität.
    Durch die Verbindung der Seelen mit der Materie entsteht die körperliche Welt. Die Seelen müssen sich von der Materie befreien, um wieder nach oben bis zum Einen, Guten, Göttlichen aufzusteigen. Das ist schwer, weil sie in der Materie gefangen sind und ihr Blick nach oben folglich getrübt ist. Manchmal gelingt es den Seelen jedoch, sich emporzuschwingen: in der Kunst, in der Philosophie und in der ekstatischen Verzückung. Der Neuplatonismus lieferte also der religiös motivierten Keuschheit ihre philosophische Begründung. Leibfeindlichkeit und Verteufelung der Sexualität waren die Folgen.
    Platon, der die sinnliche Liebe nicht verdammte, sondern der geistigen nur unterordnete, ist diese Schieflage nicht anzulasten. Sie hat sich, wie wir soeben sahen, später entwickelt. Ihr Korrektiv erfolgte erst, als – nach einigen früheren Anläufen – in der Neuzeit endgültig ein Umdenken einsetzte: als man nicht mehr die Ideen, sondern die sinnlich wahrnehmbaren Dinge dieser Welt für das eigentlich Existierende hielt. Trotzdem steht Platons Ideenlehre bis heute im Hintergrund abendländischen Denkens, zumindest als Kontrastprogramm. Unsere Geistesgeschichte sei nichts anderes als »Fußnoten zu Platon«, urteilte der Mathematiker und Naturphilosoph Alfred N. Whitehead im 20. Jahrhundert.
    Platons Aufforderung, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was vor Augen liegt, sondern nach »Höherem« zu suchen, hat zu vielen wertvollen Gedanken geführt und auch in der Liebe ihre Berechtigung. Wie oberflächlich wären Beziehungen, wenn man nur nach dem schönen Schein gehen und das Tiefere nicht erkennen würde. Dann hätten nur die Modeltypen Chancen. Niemand würde sich mehr die Mühe machen, nach den anderen Werten zu suchen, nach dem, was einen Menschen im Inneren auszeichnet.
    Auch im alltäglichen Beziehungsstress stellt Platons Lehre von der jenseitigen, ewigen Idee eine gute Hilfe dar. Sie ermuntert uns, den anderen so zu

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