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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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harten Leben außerhalb der Gefängnismauern gewachsen. Wenn es dann keine barmherzige Familie gab, die sich um diese Menschen kümmerte, gingen sie fast immer unter oder begingen neue Verbrechen und mussten an den schützenden, aber züchtigenden Busen des Strafvollzugs zurückkehren.
    Als Andreas die Vasagatan hinabeilte, dachte er, wenn es ihm nur gelänge, sich zu konzentrieren und das Vorwort zu vollenden und einige der Interviews zu bearbeiten, so wäre sein Projekt beendet, das Buch fertig. Er hatte Jahre harter Arbeit auf diese Interviews verwandt, und der Vertrag mit dem Verlag Norstedts über den Druck des Werks war bereits unterzeichnet. Tatsächlich waren mittlerweile zwei Jahre vergangen, seit die Vereinbarung geschlossen worden war. Damals hatte er geglaubt, nur noch einen Monat zu benötigen, um das Vorwort zu vollenden, aber seither war nichts so gekommen, wie er es erwartet hatte.
    Ständig kamen ihm seine Grübeleien in die Quere. Eine Woche lief alles, wie es sein sollte: Er las, schrieb und bearbeitete, und sein Vorgehen hatte eine Richtung. Dann aber brach er ohne jede Vorwarnung zusammen. Morgens kam er kaum aus dem Bett, so sehr lähmte ihn seine Schreibblockade. Und die Arbeit der Vorwoche, auf die er gerade noch so stolz gewesen war, erschien ihm nunmehr wie eine Anhäufung von Sinnlosigkeiten. Wie der Versuch eines Idioten, sich als etwas Besonderes aufzuspielen, war sie ohne Substanz oder Wert. Oft warf er alles fort oder räumte das Material in einem Umschlag weg, den er auf all die anderen Umschläge mit verworfenen Versionen legte. Die Arbeit am Vorwort zu seinem Buch vermittelte ihm mittlerweile das Gefühl, dass er die Sache nie zu Ende bringen würde.
    Obwohl es bereits Mitte September war, herrschte in Stockholm hochsommerliche Hitze. Das Wetter war nach einem wunderschönen Frühling den Sommer über unbeständig gewesen. In der vorigen Woche hatte es ununterbrochen geregnet, aus Gewitterwolken rollte der Donner, und es goss in dicken Tropfen, die auf das Straßenpflaster klatschten, und wo das Wasser nicht abgelaufen war, standen immer noch große Pfützen. Die Ulmen, an denen Andreas vorbeikam, zeigten allerdings kaum Anzeichen, sich verfärben zu wollen, und für die Linden am Norra Bantorget galt das Gleiche.
    Wenn er pünktlich sein wollte, musste er sich beeilen. Er beabsichtigte, Poul abzuholen, der mit dem Nachtzug aus Hamburg heimkehrte, nachdem er beim Psychoanalytischen Kongress in München einen Vortrag gehalten hatte. Wie vor jeder Begegnung mit seinem Bruder war Andreas nervös. Er hätte sich gewünscht, mehr Interesse für Pouls Forschungen aufbringen zu können, schon allein, weil er sich vorstellte, dass es ihm dann leichter fiele, sich mit seinem Bruder zu unterhalten. Aber es wollte ihm einfach nicht gelingen. Er fand, dass Pouls Schriften in letzter Zeit immer austauschbarer und hochtrabender geworden waren.
    Er passierte die neugebaute Kungsgatan, für die man sich durch den Stockholmer Felsrücken gegraben hatte. Überall wurden neue Häuser errichtet, und er musste von Brett zu Brett springen, um nicht in den wässrigen Lehm und Morast zu treten, den die unvermeidlichen Baukarren an den verregneten Tagen verteilt hatten. Es wurde eng, als sich alle balancierend vorwärtsbewegten, und er musste seine Schritte verlangsamen. Er zog die Uhr aus seiner Westentasche. Aber ja, er würde pünktlich sein, er brauchte sich nicht hetzen. Stattdessen lobte er sich dafür, dass er ausnahmsweise einmal rechtzeitig losgegangen war.
    Auf Höhe der wuchtigen Zentralpost bekam er endlich wieder genügend Platz, um schnelleren Schritts voranzukommen. Ihm war bewusst, dass die Leute, denen er begegnete, einen jungen Mann um die dreißig sahen, der alles hatte, was man sich nur wünschen konnte. Er stammte aus einer wohlhabenden Familie, wenn auch neureich und aus Dänemark kommend, und hatte noch nie um sein täglich Brot kämpfen müssen. Obwohl es, überlegte er, ganz darauf ankam, was man mit dem täglichen Brot meinte. Es stimmte natürlich, er hatte niemals hungern müssen – wenn er in einer Krise gewesen war, hatte er stets seinem Vater schreiben können, der daraufhin für finanzielle Unterstützung gesorgt hatte. Darüber hinaus hatte er in Paris und Berlin studiert und die besten Schulen besucht.
    Aber dennoch …
    Was die Menschen, denen er begegnete, nicht sahen, waren seine ständigen Qualen, vor allem nach der Scheidung von Amelie im Vorjahr, die Schreibblockade,

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