Ein Vampir zum Valentinstag (German Edition)
Sie starrte sie entgeistert an – und die ganze schreckliche Tragweite ihrer Mission wurde ihr mit einem Schlag klar. Sie sollten Stephanie in Port Henry abliefern, was bedeutete, dass sie mit diesem aufsässigen, großmäuligen Teenager mindestens zehn Stunden im selben Auto gefangen wären. Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Schließlich hatte sie gehört, wie Lucian, Dani und Decker im Haus der Vollstrecker über Stephanies Zukunft diskutiert hatten. Lucian war der festen Überzeugung gewesen, dass das Mädchen ausschließlich im Haus und unter ständiger Bewachung der Vollstrecker in Sicherheit wäre. Dani war dagegen, denn sie befürchtete, dass Stephanie dort zur Untätigkeit verdammt wäre und so nur über all das, was sie verloren hatte, nachgrübeln würde. Sie sollte Freunde haben können, die Highschool beenden und ein so normales Leben führen wie nur irgend möglich.
Offenbar hatten sie sich am Ende auf Port Henry geeinigt. Die Kleinstadt lag im Süden von Ontario und war relativ vampirfreundlich. Einige der sterblichen Einwohner wussten über die Existenz von Vampiren Bescheid, und zudem lebte dort eine kleine Gruppe Unsterblicher, die in der Lage war, auf Stephanie aufzupassen. Mirabeau konnte nachvollziehen, dass Stephanie dort sicher die besten Chancen auf ein normales Leben hätte. Weshalb man allerdings sie und Tiny ausgesucht hatte, um sie dorthin zu begleiten, das war ihr schleierhaft. Was war denn mit Dani und Decker? Würden sie nicht dort mit ihr wohnen?
»Dani und Decker gehen auf Hochzeitsreise«, informierte sie Stephanie seufzend. Offenbar las sie noch immer ihre Gedanken.
»Wann haben sie denn geheiratet?«, erkundigte sich Mirabeau verwundert. Decker war ebenfalls ein Vollstrecker, und sie bildeten eigentlich eine verschworene Gemeinschaft, denn schließlich hing ihr gegenseitiges Überleben voneinander ab. Wenn Decker tatsächlich geheiratet hatte, dann hätte sie es nicht nur wissen, sondern außerdem eine Einladung bekommen müssen. Dass er sie möglicherweise vergessen hatte, fand sie beleidigend.
»Nein, sie sind noch nicht verheiratet. Es ist eine Art Vorhochzeitsreise. Sie wollen erst ein paar von den frischen Gefährtenhormonen , wie Dani es nannte, loswerden, und danach zu mir nach Port Henry kommen, um die Hochzeit zu planen. Bis dahin werden sich diese Elvi und Lucians Bruder Victor um mich kümmern und auf mich aufpassen.«
Mirabeau musterte das Mädchen eingehend. Es machte der Kleinen augenscheinlich nichts aus, dass sich die Dinge so entwickelt hatten. Im Gegenteil, sie schien sich sogar zu freuen, denn ihre Augen leuchteten begeistert. Sie tauchte kurz in Stephanies Gedanken ein und las in ihnen, wie sich das Mädchen ihr neues Leben vorstellte. Sie malte sich aus, dass Elvi sie verwöhnen würde und sie sonst tun und lassen könnte, was sie wollte – eben wie ein typischer Teenager, der zum ersten Mal die Freiheit wittert. Eine schöne Vorstellung, die so allerdings höchstwahrscheinlich nicht eintreffen würde. Mirabeau wusste, dass Elvi Black, die jetzt Argeneau hieß, in der Vergangenheit eine Tochter verloren hatte und deshalb wahrscheinlich wie eine Glucke auf Stephanie aufpassen und sich permanent in ihr Leben einmischen würde. Auch Victor Argeneau würde das Kind nicht aus den Augen lassen. Aber es war nicht Mirabeaus Job, der Kleinen ihre Illusionen zu rauben. Und außerdem hatte sie keine Lust, sich für den Rest der Mission mit einer miesepetrigen Stephanie herumzuschlagen. Also schwieg sie lieber und behielt ihr Wissen für sich.
Dass Dani McGill ihre Schwester allein gelassen hatte, um mit Decker zu verreisen und ein paar Hormone loszuwerden, daran glaubte sie nicht eine Sekunde lang. Sie wusste, dass der abtrünnige Schlitzer Leonius Livius, der Stephanie und Dani verwandelt hatte, reges Interesse daran hatte, die beiden Schwestern in die Finger zu bekommen. Deshalb hatten Dani und Decker die Geschichte von der Hochzeitsreise wahrscheinlich nur erfunden, damit sich Stephanie keine Sorgen um ihre Schwester machte. Mirabeau hegte den Verdacht, dass Lucian plante, den Schlitzer zu fangen und Dani überredet hatte, dabei den Köder zu spielen. Und die hatte wahrscheinlich nur unter der Voraussetzung zugestimmt, dass ihre Schwester in Sicherheit gebracht wurde.
Mirabeau hatte nicht vergessen, dass Stephanie in ihren Gedanken las, also verdrängte sie diesen Verdacht genauso schnell wie die Überlegungen über die permanente Überwachung,
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