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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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unseres Jahrhunderts weiterhin Nutzen aus seinem überdehnten Gedächtnis, angeblich der vielen unerledigten Fälle wegen, zu denen der Fall Fonty gehörte. So war es denn Hoftaller, der am Bahnhof Zoologischer Garten blechernes Ostgeld versilberte, damit er sein Objekt dank westlicher Währung einladen konnte, den siebzigsten Geburtstag zu feiern: »Da kann man nicht still drüber weg. Muß begossen werden.«
    »Das wäre, als wollte man mir die vorletzte Ehre erweisen.« Fonty erinnerte seinen altgewohnten Kumpan an eine Situation, die sich durch Einladung der »Vossischen Zeitung« ergeben hatte. Ein Brief des Chefredakteurs Stephany war ins Haus gekommen. Doch schon vor hundert Jahren hatte er postwendend lustlos reagiert: »Siebzig kann jeder werden, wenn er einen leidlichen Magen hat.«
    Erst als Hoftaller versprach, nicht, wie damals die »Vossin«, an die vierhundert Spitzen der Berliner Gesellschaft zu versammeln, sondern den Kreis der Feiernden klein zu halten, ihn sogar, wenn gewünscht, radikal auf das betagte Geburtstagskind und ihn, den Nothelfer in schwieriger Lage, zu beschränken, gab Fonty klein bei: »Möchte mich zwar lieber in meine Sofaecke drücken – mit demnächst siebzig darf man das –, aber wenn es denn sein muß, muß es was Besonderes sein.« Hoftaller schlug den Künstlerklub »Möwe« in der Maternstraße vor. Danach bat er seinen Gast, das beliebte Theaterrestaurant »Ganymed« am Schiffbauerdamm zu erwägen. Nichts paßte. Und auch das »Kernpinski« im Westen der Stadt war nicht nach Fontys Wünschen. »Mir schwebt«, sagte er, »etwas Schottisches vor. Nicht unbedingt mit Dudelsack, aber annähernd schottisch soll es schon sein …«
    Wir, die im Archiv übriggebliebenen Fußnotensklaven, ermahnen uns, nicht vorschnell den Siebzigsten abzufeiern, sondern von jenem Spaziergang Bericht zu geben, der schon Mitte Dezember stattfand und erst nach längerem Verlauf Gelegenheit bot, den bevorstehenden Geburtstag zu bereden und dessen Feier zu planen.
    An einem frostklirrenden Wintertag, dem ein wäßrig blauer Himmel über der nunmehr ungeteilten Stadt entsprach, am 17. Dezember, als in der Dynamo-Halle die bislang führende Partei tagte, um sich mit neuem Namen zu verkleiden, an einem Sonntag, der Klein und Groß auf die Beine brachte, kamen auch sie zielstrebig Ecke OttoGrotewohl-, Leipziger Straße ins Bild: lang und schmal neben breit und kurz. Der Umriß der Hüte und Mäntel aus dunklem Filz und grauem Wollgemisch verschmolz zu einer immer größer werdenden Einheit. Was sich gepaart näherte, schien unaufhaltsam zu sein. Schon waren sie am Haus der Ministerien, genauer, an dessen nördlicher Flanke vorbei. Mal gestikulierte die hochwüchsige, mal die kleinwüchsige Hälfte. Dann wieder waren beide mit Händen aus weiten Ärmeln beredt, der eine bei ausholendem Schritt, der andere im Tippelschritt. Ihre Atemstöße, die sich als weiße Wölkchen verflüchtigten. So blieben sie einander vorweg und hinterdrein, waren aber dennoch miteinander verwachsen und von einer Gestalt. Da dem Gespann kein Gleichschritt gelang, sah es aus, als bewegten sich leicht zapplige Schattenrißbildchen. Der Stummfilm lief in Richtung Potsdamer Platz, wo die als Grenze gezogene Mauer schon in Straßenbreite niedergelegt war und in jede Fahrtrichtung offenstand; doch ließ dieser Übergang, weil oft verstopft, nur verzögerten Verkehr von der einen zur anderen Stadthälfte, zwischen zwei Welten, von Berlin nach Berlin zu. Sie überquerten ein Jahrzehnte lang wüstes Niemandsland, das nun als Großfläche nach Besitzern gierte; schon gab es erste, einander übertrumpfende Projekte, schon brach Bauwut aus, schon stiegen die Bodenpreise. Fonty liebte solche Spaziergänge, zumal ihm der Westen neuerdings mit dem Tiergarten Auslauf bot. Jetzt erst kam sein Spazierstock ins Bild. Von Hoftaller, der ihm ohne Stock, aber mit praller Aktentasche anhing, war bekannt, daß er, außer der Thermosflasche und der Brotbüchse, jederzeit einen durch Knopfdruck auf Normalgröße zu entfaltenden Kleinschirm bei sich trug. In ihrem kaum mehr bewachten Zustand machte die Mauer beiderseits des Durchlasses Angebote. Nach kurzem Zögern entschieden sie sich nach rechts hin in Richtung Brandenburger Tor. Metall auf Stein: von fern her schon hatten sie das helle Picken gehört. Bei Temperaturen unter Null trägt solch ein Geräusch besonders weit. Dicht bei dicht standen oder knieten Mauerspechte. Die im Team arbeiteten, lösten

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