Ein Wispern unter Baker Street: Roman (German Edition)
1
Tufnell Park
Im Sommer hatte ich den Fehler begangen, meiner Mum zu erzählen, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Nicht das mit der Polizei – das wusste sie natürlich, sie war ja bei meiner Abschlussfeier in Hendon dabei gewesen. Nein, ich meine, dass ich für die Abteilung der Metropolitan Police arbeitete, die fürs Übernatürliche zuständig ist. Meine Mum hatte sich das als »Hexenjäger« übersetzt – was Vorteile hatte, weil meine Mum, wie die meisten Westafrikaner, Hexenjäger für einen viel anständigeren Beruf hält als Polizist. In einem unvermuteten Anfall von mütterlichem Stolz ließ sie es sich nicht nehmen, sofort all ihren Freunden und Verwandten mein neues Arbeitsgebiet zu schildern – einem Personenkreis, der nach meiner Schätzung mindestens zwanzig Prozent der gegenwärtig in England lebenden Sierra Leoner Auslandsgemeinde umfasst. Darunter fielen auch Adam Kamara, der im selben Sozialwohnblock wohnte wie meine Mum, und seine dreizehnjährige Tochter Abigail. Welche am letzten Sonntag vor Weihnachten beschloss, dass ich mir mal dieses Gespenst anschauen sollte, das sie entdeckt hatte. Den Kontakt zu mir stellte sie her, indem sie meiner Mum so lange auf die Nerven fiel, bis diese nachgab und mich auf dem Handy anrief.
Ich war nicht gerade begeistert, denn der Sonntag ist einer der wenigen Tage, an denen ich morgens nicht am Schießstand trainieren muss, und meine Pläne hatten eigentlich daraus bestanden, gründlich auszuschlafen und mir später im Pub das Fußballspiel anzuschauen.
»Also, wo ist das Gespenst?«, fragte ich, als Abigail die Wohnungstür öffnete.
»Wieso seid ihr zu zweit?«, fragte Abigail. Sie war ein kleines dürres Mädchen gemischter Herkunft, deren helle Haut jetzt im Winter ziemlich fahl war.
»Das ist meine Kollegin Lesley May«, sagte ich.
Abigail starrte Lesley misstrauisch an. »Warum haben Sie ’ne Maske auf?«
»Weil mein Gesicht auseinandergefallen ist«, sagte Lesley.
Abigail überdachte das kurz und nickte dann. »Aha.«
»Also, wo ist es?«, wiederholte ich.
»Es ist ein Er«, sagte Abigail. »In der Schule.«
»Okay, gehen wir.«
»Was, jetzt? Es ist eiskalt!«
»Das haben wir schon gemerkt.« Es war ein trüber grauer Wintertag mit dieser Art fiesem kaltem Wind, der sich durch jede Ritze in der Kleidung bohrt. »Kommst du jetzt oder nicht?«
Sie zog die klassische Dreizehnjährigen-Protestschnute, aber ich war klar im Vorteil, da ich weder ihre Mutter noch ihr Lehrer war. Ich wollte nichts von ihr – ich wollte heim und Fußball schauen.
»Dann halt nicht«, sagte ich und drehte mich um.
»Hey, wartet«, rief sie. »Ich komme ja schon.«
Ich drehte mich wieder zu ihr um und bekam prompt die Tür vor der Nase zugeknallt.
»Sie hat uns nicht hereingebeten«, sagte Lesley.
»Nicht hereingebeten werden« ist eines der Kästchen auf dem »Verdächtiges Verhalten«-Bingozettel, den jeder Polizist im Kopf mit sich herumträgt, zusammen mit »Abnorm riesiger Hund« oder »Hat viel zu schnell ein Alibi zur Hand«. Wer am Ende in allen Kästchen ein Kreuz vorweisen kann, hat gute Aussichten auf einen Besuch in der nächsten Polizeistation – Unkosten werden übernommen.
»Es ist Sonntagmorgen«, sagte ich. »Wahrscheinlich liegt ihr Dad noch im Bett.«
Wir beschlossen, im Auto auf sie zu warten, und vertrieben uns die Zeit damit, die Provianttüten der Überwachungen des letzten Jahres zu sichten. Wir fanden eine unangebrochene Rolle Fruchtgummis, und Lesley hatte mir gerade befohlen, wegzuschauen, damit sie die Maske anheben und sich eines in den Mund stecken konnte, da tippte Abigail ans Fenster.
Wie ich hatte Abigail ihre Haare vom »falschen« Elternteil geerbt, aber während man sie mir, als ich ein Junge war, einfach superkurz abrasierte, wurde Abigail von ihrem Vater reihum zu allen verfügbaren Friseursalons, weiblichen Verwandten und eifrigen Nachbarinnen geschleppt, um das Problem unter Kontrolle zu bekommen. Von Anfang an hatte Abigail sich das Haar nur unter Heulen und Zähneklappern flechten, chemisch glätten oder mit Heizwicklern bearbeiten lassen, aber ihr Dad blieb bei seinem festen Vorsatz, dass sie ihn in der Öffentlichkeit nicht blamieren sollte. Die Sache nahm erst ein Ende, als Abigail mit elf erklärte, sie habe die Nummer des Kinder-Sorgentelefons im Handy gespeichert, und der Nächste, der ihr mit Haarverlängerungen, Glattmachern oder, Gott behüte, einemBügeleisen zu nahe käme, werde sich vor dem
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