Einarmig unter Blinden - Roman: Roman
will/verpasst« erzählen. Der größte Spaß ist natürlich das wohlige Gefühl, für Sex nicht mehr so hart arbeiten zu müssen.
Nur weil die anderen ab jetzt beschäftigt sind, heißt das aber leider nicht, dass man um Punkt vier mit seiner Liebsten alleine ist. Das Tschüß-Sagen zieht sich noch mindestens über eine halbe Stunde hin (»Eeeeeey, haut ihr schon ab oder was? Bleibt doch noch!«), und natürlich will niemand das uncoole Paar sein, das als erstes geht. Und so weiter und so fort. Darauf habe ich heute echt keinen Bock.
Ich möchte endlich mal wieder einen ganzen Abend mit ihr alleine sein. Ihr davon erzählen, dass meine Eltern sich wieder mehr streiten. SIE! halten. Gehalten werden. Ihr beim Essen zusehen. Mitbekommen, wie SIE! einschläft.
Seit drei Wochen arbeitet SIE! bis spät in die Nacht an irgendeiner Hausarbeit. Hat SIE! frei, geht SIE! zum Sport oder trifft sich mit ihren Freunden. An den letzten drei Wochenenden haben wir keine Party ausgelassen. Also ganz klar: Ich bin im Recht. Und SIE! nicht.
SIE! hat bestimmt ein schlechtes Gewissen.
Ich jedenfalls habe eins.
Wo ich mittlerweile bin? Weiß ich nicht. Wie spät es ist? Auch nicht. Und es interessiert mich nicht. Interessant dagegen ist, dass seit geraumer Zeit die Benzinanzeige blinkt und ich keine Tankstelle finde. Egal wie lange man in einer Stadt wohnt, man kennt nur seine Wege. Von der Arbeit nach Hause, von da in die Innenstadt. Kommt man von den traditionellen Straßen ab, befindet man sich in einer vollkommen anderen Welt.
Ich brauche ein Navigationssystem. Eins fürs Auto. Eins für mein Leben.
Es macht mir höllische Angst, wenn wir uns gestritten haben. Wie ich mich benehme, wenn wir uns gestritten haben. Ich bin zu nichts fähig. Gelähmt. Als hätte mich jemand in einen Stahlschleier gewickelt und ein 100-Kilo-Gewicht an mein Hirn gehängt. So hilflos, wie ich mich gefühlt habe, wenn ich als Kind Streitereien meiner Eltern mitbekommen habe.
SIE! berührt es gar nicht, wenn wir uns streiten. Glaube ich. SIE! lebt ihr Leben einfach weiter und wartet, bis ich mich melde. Ich bin immer der Erste, der anruft.
Wir streiten uns sehr oft. Darüber, dass SIE! ihrem besten Freund ständig irgendwas schenkt und ich selbst zu Ostern nichts bekommen habe. Darüber, das, sobald ihre Schwester ruft, SIE! alles, einschließlich mich, sofort stehen und liegen lässt. Dass SIE! ohne mich in den Urlaub fahren will. Dass ich der Einzige in ihrem Umfeld bin, dem SIE! keinen Spitznamen gibt. Dass mehrere Geschenke und Fotos ihres Exfreundes noch in ihrer Wohnung rumstehen. Dass ich mich so oft verliebter als geliebt fühle und Sie! mich behandelt wie ein Student sein Girokonto – meistens im Minus und wenn es gut läuft auf null.
Ein Streit läuft, egal welches Thema, bei uns immer gleich ab: Es gibt etwas, das mich ärgert. Erst mal sage ich natürlich tagelang nichts, weil mir meine Eltern beibrachten, ich müsse Kompromisse eingehen, den Mittelweg, und währenddessen noch das Beste für alle finden.
Beispiel Exfreund-Foto: Nicht genug, dass schon vor mir einer mit ihr Sex gehabt hat. Muss ich diese zu allem Überfluss auch noch sehr gut aussehende Visage jeden Tag ertragen?
Irgendwann ist es mir zu viel und reicht. Ein Hundertstel eines Tropfens bringt dann ein gewaltiges Fass zum Überlaufen. Der Name des Ex in einem Spielfilm reicht schon – ich werde sauer. Beschwere mich. SIE! weiß nicht, was auf einmal mein Problem ist, denn ich habe ja nie was gesagt. Dann findet SIE! mein Verhalten irgendwann ganz fies, gemein, unnötig und ich »solle doch meine schlechte Laune nicht an ihr auslassen«. Schließlich erinnere ich mich an meine mittige Erziehung, bekomme ein schlechtes Gewissen und entschuldige mich.
Wenn ich mit meinen Freunden über unsere Streitereien rede, kriege ich immer das Gleiche zu hören: »Das sind doch nur oberflächliche Kleinigkeiten. Solange das Große stimmt …« Was genau mit »das Große« gemeint ist, weiß ich nicht. Der Spruch ist jedenfalls großer Mist und stimmt nur andersherum: Wenn die Kleinigkeiten nicht stimmen, dann stimmt auch das Große nicht. So müsste es doch heißen.
Ohne zu blinken biege ich nach rechts in eine Einbahnstraße. Falschherum. Der hinter mir hupt. Auf einmal schießt diese Filmszene in meinen Kopf. Immer wieder fährt der gleiche Dialog Achterbahn durch mein Hirn:
Eine Frau fragt einen Mann: »Wann wusstest du, dass sie nicht die Richtige ist?« Er antwortete: »Wir
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