Stonehenge
Wulf
Mit einem Fluch riss sie die Bettdecke zur Seite und sprang aus dem Bett. Sie hatte verschlafen. Ausgerechnet heute. Sie sollte um zwölf Uhr zu einem Vorstellungsgespräch erscheinen. Die Sonne stand schon ziemlich hoch am Himmel, es musste also fast Mittag sein. Eva sah auf ihren Wecker, aber das Display war schwarz. „Verdammt!“, rief sie aufgebracht. „Das darf doch nicht wahr sein!“ Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Keiner der Zeiger bewegte sich. Sie waren um 2 Uhr stehen geblieben.
Eilig rannte sie ins Badezimmer und betätigte den Lichtschalter. Nichts. Seufzend tastete sie sich zum Waschbecken und drehte den Wasserhahn auf. Doch auch das Wasser lief nicht. Noch nicht einmal ein Gurgeln drang aus der Leitung.
Ein weiterer Fluch entfuhr ihren Lippen. Sie lief eilig zurück ins Schlafzimmer und zog sich an.
Natürlich hatte sie auch in der Küche keinen Strom. „Kein Kaffee“, murmelte sie verzweifelt. „Ich brauche meinen Kaffee… !“ Sie beschloss, auf dem Weg in die Stadt an einer Tankstelle zu halten und sich dort einen Coffee-To-Go zu holen.
Eva zog ihre Jacke über, griff sich ihre Tasche und verließ die Wohnung.
Auch der Aufzug funktionierte nicht. Aber sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Sie musste sich beeilen. Sie brauchte den Job.
Ergeben wandte sie sich der Treppe zu und eilte die Stufen hinunter, öffnete die Haustür und lief zu ihrem grünen VW-Polo, der auf dem Parkplatz direkt vor dem Haus stand.
Erstaunt stellte sie fest, dass der Parkplatz, trotz der späten Vormittagszeit, immer noch voller Fahrzeuge war. Einige Hausbewohner, sie sah ihre Nachbarin Claudia und deren zwei Kinder und noch weitere Personen, an deren Namen sie sich augenblicklich nicht erinnerte, standen neben ihren Fahrzeugen und unterhielten sich aufgeregt. Sie hatte es eilig und widerstand dem Wunsch mit ihnen über den ärgerlichen Stromausfall zu diskutieren. Bestimmt wetterten sie gerade über die unzuverlässigen Stromwerke und die hohen Preise, die sie für die nicht erbrachte Leistung verlangten.
Eva drückte auf die Fernbedienung, um die Autotür zu entriegeln. „Mist", entfuhr es ihr, als das übliche Klicken nicht zu hören war. Sie musste also die Tür per Hand aufschließen.
Mit einem Seufzen ließ sie sich auf dem Fahrersitz nieder, gurtete sich an und drehte den Zündschlüssel im Schloss.
Nichts. Der Wagen sprang nicht an.
Sie versuchte es wieder. Der Motor gab nicht einmal das leiseste Geräusch von sich.
Resigniert schloss Eva die Augen. Es war offensichtlich nicht ihr Tag.
Sie beschloss, den Bus in die Stadt zu nehmen. Wenn sie sich beeilte, würde sie es vielleicht noch zu ihrem Vorstellungsgespräch schaffen.
Hastig verließ sie das Fahrzeug.
„Mein Auto springt nicht an. Ich muss mich beeilen, damit ich noch den Bus erwische“, rief sie Claudia zu, die ihr aufgeregt zuwinkte.
„Da wirst du kein Glück haben“, antwortete Claudia zurück. „Aus irgendeinem Grund scheint nichts mehr zu funktionieren, was mit Elektrik oder Elektronik zu tun hat. Schau mal auf die Straße. Da fährt kein Auto. Und das um diese Uhrzeit.“
Eva folgte ihrem Blick zur Hauptstraße. Tatsächlich. Außer einem Hund, der die Freiheit genoss, unbehelligt auf der sonst viel befahrenen Straße herumzutollen, konnte sie nichts entdecken.
„Was ist hier los?“ Fragend blickte sie Claudia an. „Ich habe keine Ahnung“, antwortete diese. „Das Radio, das Fernsehen und das Internet funktionieren ja auch nicht. Niemand, den ich bisher gefragt habe, kann sich einen Reim darauf machen. Meine Uhr ist heute Nacht um zwei Uhr stehen geblieben. Es muss also um diese Uhrzeit alles ausgefallen sein.“
Nachdenklich sah Eva auf ihre eigene Armbanduhr. Auch sie war, wie sie bereits vorhin in ihrer Wohnung festgestellt hatte, um zwei Uhr stehen geblieben.
*
Wulf blätterte die Seite des Buches, aus dem er vorgelesen hatte um, nahm einen großen Schluck Met aus dem Humpen, den der Wirt des Gasthofes vor ihn hingestellt hatte, und sah sich seine Zuhörer an. Gespannte, erwartungsvolle Gesichter waren auf ihn gerichtet.
„Lies weiter, alter Mann“, forderte der Wirt ihn auf. „Ich beköstige dich hier nicht, damit du dauernd Pausen machst, sondern damit du meine Gäste unterhältst.“
Wulf rieb sich die müden Augen und las im trüben Schein der Kerze, die einen kleinen Lichtkegel in der ansonsten dämmerigen Gaststube bildete, weiter.
*
„Ich muss jetzt wirklich gehen. Gleich
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