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Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Einarmig unter Blinden - Roman: Roman

Titel: Einarmig unter Blinden - Roman: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Jessen
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zahle ich irgendwie immer unsere emotionalen Pärchenrechnungen. Doch SIE! wird nicht satt. Nicht mehr. Es ist kein richtiger Hunger – die Portionen sind ihr vielleicht zu klein geworden. Noch 138 Kilometer. Ich vermisse SIE!.
    Nicht nur irgendwie.

Sechs:
Liebe ist ein Luftballon
    Sie! behandelt mich wie Erwachsene einen Luftballon.
    Früher, als Kind, ist man vollkommen vernarrt in diese mit Luft gefüllten Plastikhüllen. Wichtig waren nicht die banalen Bestandteile, sondern welchen Spaß man mit ihnen hatte. Kunststoff, Gas und eine Schnur wurden zum Lebensmittelpunkt. Man hegte und pflegte ihn. Heulte, wenn dem bunten Weggefährten langsam das Gas entwich.
    Ist die Kindheit zu Ende, sind Luftballons einfach nur Geldverschwendung. Aber auch gar keine Faszination geht mehr von ihnen aus. Mit ihnen zu spielen kommt null infrage.
    Ich will ihr wehtun. Darum bin ich hier. Bei ihr zu Hause.
    Vor knapp drei Wochen hat Sie! Schluss gemacht. In den zwei Wochen vor dem Aus hatten wir uns öfter als normal gestritten und seltener als sonst gesehen. Ich wollte mehr Zeit mit ihr alleine verbringen. Sie! mehr mit ihren Freundinnen. Ganz normales Mittzwanzigergenerve – dachte ich.
    Es gab keinen Grund zur Beunruhigung, als SIE! mich um drei Uhr nachmittags anrief, ob ich jetzt Zeit für sie hätte. Kein Zittern. Kein Belag auf der Stimme. Ich sagte zu. Natürlich.
    Es war Freitag. Draußen war es bewölkt. Es nieselte, und ich dachte, alles wird gut.
    Ich freute mich darauf, SIE! zu sehen. Sprang noch schnell unter die Dusche. Ich wusch mich dreimal unter den Armen. Meine Haare und den Intimbereich jeweils zweimal. Zog mir ein T-Shirt an. Eines, das SIE! an mir mochte, und begann mein Schlafzimmer vorzeigbar zu machen. Dabei fing ich an zu schwitzen. Also ließ ich es gleich wieder bleiben.
    Klingeln. Endlich! Mit zwei Schritten lag der Flur hinter mir. Ich drückte auf den Summer. Rannte zurück ins Schlafzimmer, um meine Haare zu checken, und machte mich sofort wieder auf den Weg zurück zur Tür.
    Ich hatte mir vorgenommen, die Aussprache möglichst kurz zu halten. Lieber wollte ich einen schönen Pärchenabend verbringen. Ich wollte einfach sagen, dass ich SIE! sehr liebe und SIE! natürlich so viel Zeit mit ihren Freundinnen und ihrem besten Freund verbringen konnte, wie SIE! wollte. Danach – hatte ich mir so ausgedacht – würden wir Versöhnungssex haben. Irgendwann später zur englischen Videothek fahren. Ein paar Teeniekomödien ausleihen. Uns an der Tankstelle mit Junkfood eindecken. Zwischen den Filmen dann noch mal Sex haben. Schließlich nackt zusammen einschlafen.
    Ich wohne im fünften Stock. Das Treppenhaus sieht aus wie eine mit Rotz verkrustete Nase von innen. Es ist popelgelbgrün gestrichen. Der Boden besteht aus abgewetztem grauen Plastik. In jedem Stock sind Schilder an die Wand geschraubt, auf denen Frisch gebohnert steht. Was dreist gelogen ist. Im zweiten Stock wohnt ein Hardcore-Kiffer, den ich noch nie gesehen habe. Auf dem Klingelschild steht Herr Kempf. Pünktlich um zwölf, jeden Mittag, beginnt er damit, das Treppenhaus zu verpesten. Das Schlimmste ist aber, dass im Haus anscheinend ein Wettbewerb um die lustigste Fußmatte entbrannt ist. So haben sämtliche Bewohner ihre alten braunen Türvorleger neuerdings gegen welche mit Comicfiguren von Garfield bis Southpark ausgetauscht. Einer im dritten Stock hat sich sogar einen sprechenden Fußabtreter im Internet bestellt. Wenn man auf ihn tritt, kriegt man ein uncharmantes »Hau ab!« zu hören. Wundert man sich da noch über den New-Economy-Crash?
    Ich hörte, wie SIE! sich zu mir nach oben kämpfte. Leises Klappen und Schlurfen. Gefolgt von flachem Geschnaufe. Das Klappen wunderte mich. Denn nach Streitereien war es bei uns ein ungeschriebenes Gesetz, dass man sich als Signal des guten Willens aufhübschte. Für mich hieß das, saubere Sachen über einen gewaschenen Körper zu ziehen. Für SIE!, hohe Schuhe tragen. Mindestens Stiefeletten. Solche Schuhe klicken. Klappen heißt Sneakers.
    Nur noch eine Treppe trennte uns. 15 Stufen. Direkt auf mich zu.
    SIE! schaute mich nicht wie sonst an, während sie die Treppe hochkam. Sie starrte direkt vor sich auf den Boden. Auf der zweiten Stufe murmelte sie etwas, dass ich nicht verstand. Ich fragte: »Was ist, Süße?«
    SIE! sagte: »Ich kann das so nicht mehr.«
    Erst 20 Sekunden später stand Sie! vor mir. Blickte mir jetzt wie auswendig gelernt stramm in die Augen. Manche Leute machen am Telefon

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