Eine besondere Herzensangelegenheit
alles bevorstehen würde. So schnell würden meinem Chef die Ideen nicht ausgehen, da war ich ganz sicher. Und der Verkäufer im Knallbonbon hielt bestimmt auch noch ein paar nette Anregungen für ihn parat.
»Aber jetzt genieße ich erst einmal das Wochenende«, versuchte ich mich selbst ein bisschen aufzumuntern. Und darauf freute ich mich besonders. Dabei ging es nicht nur darum, zwei arbeitsfreie Tage zu haben. Viel wichtiger war der Freitagabend, dem ich seit ein paar Monaten jede Woche regelrecht entgegenfieberte.
Ich hatte keine Ahnung, wie es begonnen hatte, aber es hatte sich inzwischen eingebürgert, dass an diesem Tag in der S-Bahn Bücher ausgesetzt wurden. Zuerst war mir nur aufgefallen, dass hin und wieder ein Buch auf einem der freien Sitze lag, das anscheinend von einem Fahrgast vergessen worden war. Aber mit der Zeit wurden es immer mehr Bücher, und eine wachsende Zahl von Anhängern machte begeistert mit.
Man brachte ein oder zwei ausgelesene Bücher mit, ließ sie – natürlich unauffällig – in der Bahn liegen und steckte dafür ein anderes ein. Auf diese Weise hatte ich schon die eine oder andere Perle entdeckt, die mir sonst wahrscheinlich entgangen wäre.
Dementsprechend in freudiger Erwartung stieg ich in die S-Bahn. Nicht einmal die schwüle, drückende Hitze, die jetzt, Ende Juli, herrschte, konnte meiner Stimmung etwas anhaben, obwohl sie in der Bahn für stickige Luft und einen nicht gerade angenehmen Geruch nach menschlichen Ausdünstungen sorgte. Voller Vorfreude auf meine neuesten Fundstücke sah ich mich um. Aber ich entdeckte – nichts!
Mir fiel auch sofort eine plausible Erklärung ein. Durch meinen unrühmlichen Abgang aus dem Büro war ich mehr als zwei Stunden früher dran als normal, und um diese Zeit schien die Bücherfangemeinde noch nicht allzu aktiv zu sein.
Enttäuscht lief ich den schmalen Gang in der Mitte des Waggons entlang, suchte mir eine freie Vierergruppe und ließ mich auf einen der Sitze fallen. Doch plötzlich stutzte ich. Aus den Augenwinkeln hatte ich ein Buch entdeckt, das auf der anderen Seite des Waggons zwischen zwei Sitzplätze gerutscht war. Und wenn ich es richtig erkennen konnte, war es ausgerechnet Das Spiel des Engels , der zweite Band der Barcelona-Trilogie von Carlos Ruiz Zafón.
Das musste einfach ein Wink des Schicksals sein, dachte ich aufgeregt. Immerhin hatte ich den ersten Band der Trilogie, Der Schatten des Windes , gerade erst ausgelesen.
Kurz entschlossen sprang ich von meinem Sitz auf, um mich auf das Objekt meiner Begierde zu stürzen – und hechtete einem schwarzhaarigen Hünen direkt in die Arme. Ich war so auf das Buch fixiert gewesen, dass ich ihn gar nicht gesehen hatte.
Durch den unerwarteten Aufprall verlor ich das Gleichgewicht und ruderte heftig mit den Armen. Zum Glück hielt er mich fest, sonst hätte ich meinen Mitreisenden ein nettes Spektakel geboten, indem ich mitten im Gang einen eleganten Bauchklatscher hingelegt hätte.
Ich blickte auf und sah direkt in ein nicht unattraktives, breit grinsendes Gesicht. Völlig entgeistert starrte ich meinen Retter an, wand mich dann aber an ihm vorbei, um meinen Fang zu sichern, bevor ihn mir jemand anders wegschnappen konnte. Mit Eleganz hatte das diesmal nicht viel zu tun: Ich setzte mich einfach auf das Buch drauf wie die brütende Henne auf ihr Ei.
Der Schwarzhaarige starrte mich in einer Mischung aus Verwirrung und Belustigung an.
»Mir ist gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass mir auf der linken Seite der Bahn immer schlecht wird«, erklärte ich ihm todernst.
Er zögerte nur einen winzigen Moment. Dann zog er grinsend eine Augenbraue hoch.
»Kein Problem, das verstehe ich gut«, sagte er mit einer äußerst angenehmen Stimme. »Mir wird immer übel, wenn die Bahn Richtung Norden fährt.«
Er lächelte mich noch einmal kurz an, bevor er seinen Weg fortsetzte und im vorderen Teil der Bahn verschwand.
Noch immer perplex von seiner Schlagfertigkeit lehnte ich mich in meinem Sitz zurück, starrte ihm eine Weile hinterher und konzentrierte mich dann wieder auf das wirklich Wesentliche: das Buch, das ich gerade ergattert hatte.
Vorsichtig zog ich es unter meinem Hintern hervor und warf einen raschen Blick auf den Umschlag. Er hatte ein Eselsohr abbekommen, sah ansonsten aber noch ganz manierlich aus. Noch wichtiger war allerdings, dass ich mich nicht geirrt hatte. Es handelte sich tatsächlich um den zweiten Teil der Barcelona-Trilogie.
Nur mühsam gelang es
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