Eine Frau - Ein Bus
im Nachthemd und mit der Katze auf dem Schoß zu vergnügen. Jahrelang kam Tim abends nach Hause und rief bei meinem Anblick: »Sag bloß, du hast dich den ganzen Tag nicht angezogen!« Aber ich war mächtig stolz auf meine Statistik: 118 Stunden, ohne auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen. Als ich dann auch noch die Kunst perfektionierte, morgens nicht einmal aus dem Bett aufzustehen, dauerte es eine ganze Weile, bis er sich damit arrangierte. Aber ich ging davon aus, dass er es schon schaffen würde. Wie konnte er davon nicht beeindruckt sein? Ich fand es heraus, als er eines Tages nach Hause kam und mich im Bett sitzend vorfand, auf meinen Laptop einhämmernd, das Telefon inmitten auf der Decke verstreuter Unterlagen. »Du solltest dich mal sehen!
«, rief er. Im ersten Moment wusste ich nicht recht, was er meinte, und fragte mit unübersehbarem Stolz: »Genau! Wer außer Huren kann sonst von sich behaupten, zur Arbeit nicht einmal aus dem Bett aufstehen zu müssen?«
»Selbst die müssen ab und zu raus, um sich Freier zu besorgen«, gab er angewidert zurück.
Dabei schaffte ich es immer, wenigstens einmal pro Tag, das Haus zu verlassen, zumindest im rein technischen Sinne. In der Nachbarschaft bin ich unter dem Spitznamen »Mafioso« bekannt, weil ich mich im Morgenrock nach draußen begebe, um die Zeitung oder die Post zu holen, genauso wie Vinny »Chin« Gigante, der grundsätzlich im Schlafanzug durch Greenwich Village schlurfte, damit er, falls ihn die Bullen schnappten, auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren konnte. Ich habe dasselbe versucht, als ich meinen Freundinnen das erste Mal von der Bus-Idee erzählte. Obwohl sie mir in der Diagnose durchaus zustimmten, schien es keinen Einfluss auf ihre Bereitschaft zu haben, mir zu verzeihen.
Ich versuchte auch, mir einzureden, dass ich in einem Bus tun konnte, was ich am liebsten tat (den ganzen Tag im Pyjama zu Hause lümmeln), während ich das tat, was ich eigentlich gern tun sollte (reisen). Wie um alles in der Welt hatte ich das jemals für eine schlechte Idee halten können? Ich kam sogar an den Punkt, an dem mir der passende Werbeslogan dazu einfiel: Von der Long-Island-Prinzessin zur Königin des Mittelgangs.
Tim dagegen hatte seit dem Augenblick, als er am Zeitungskiosk auf die neueste Ausgabe von Bus Conversions, ein Fachmagazin für Busumbauten , stieß, keinerlei Vorbehalte gegen die Bus-Geschichte gehabt. Er hatte seine wahre Berufung gefunden.
Seit der Eröffnung seiner Privatpraxis vor knapp fünfzehn Jahren kam Tim jeden Abend um sieben oder acht Uhr nach Hause und telefonierte eine weitere Stunde mit Patienten, für die er während des Tages keine Zeit gefunden hatte. Während er Leuten häufig ans Herz legte, sich um ihr eigenes Wohlergehen zu kümmern, schien er selbst nicht in der Lage zu sein, es auch für sich zu tun - vorwiegend deshalb, weil er sich in seinem Bemühen, sich um sie zu kümmern, halb zu Tode schuftete. Er versuchte auch, möglichst immer für seine Patienten erreichbar zu sein, und wenn ihn jemand bat, einen schwierigen Fall zu übernehmen, sagte er grundsätzlich zu, nur weil er überzeugt davon war, helfen zu können. Seine Arbeit brachte ihn noch um.
Während ich also über die Bus-Geschichte herzog, warf ich ihm vor, er wolle nur verreisen, um der Psychiatrie für eine Weile zu entfliehen. Wenn er tatsächlich eine Auszeit brauchte, war ich absolut dafür, aber weshalb sollte ich deshalb für ein Jahr mein gesamtes Leben (mit dem ich überaus zufrieden war) aufgeben? Während er mich beruhigte, dies sei nicht der Fall, sondern die Bus-Geschichte sei etwas, was er wirklich gern tun wollte, blieb ich weiter skeptisch, obwohl er sich zumindest zu dem Eingeständnis hinreißen ließ, er hoffe, die Bus-Geschichte helfe ihm, ein wenig »runterzukommen«. Sorgsam darauf bedacht, das Thema zu wechseln, fragte er mich, ob ich nicht auch am Ende dieses Jahres dastehen und eine Veränderung an mir feststellen wolle. Ich legte den Kopf schief, klimperte mit den Wimpern und genoss den seltenen Augenblick, in dem mein hinreißender Ehemann einmal derjenige war, der in die Falle getappt war.
»Wieso?«, fragte ich so zuckersüß, wie ich nur konnte.
»Gibt es denn etwas, was ich an mir ändern sollte?« Offenbar sah Tim bereits den Bus-Traum vor seinem geistigen Auge platzen.
»N-nein«, stammelte er, »ich-ich dachte nur, du würdest vielleicht gern … na ja …« Es schien fast, als kippten seine Augen in den Höhlen
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