Eine Geschichte von Liebe und Feuer
sie wie bei einem Schönheitswettbewerb unter den Mädchen, die als Mannequins für die besten Modehäuser der Stadt arbeiteten, ausgewählt. Da sie mit keinerlei Mitgift rechnen konnte â ihre Eltern waren schon vor ihrem zehnten Lebensjahr gestorben â, war sie der Ãberzeugung, sie habe wirklich Glück gehabt. Denn viele ihrer Kolleginnen endeten im florierenden Rotlichtbezirk der Stadt.
Dennoch fragte sie sich, wie es gewesen wäre, aus Liebe zu heiraten, und kam zu dem Schluss, dass ihre Schönheit sie gerettet und zugleich verdammt hatte. Denn sie war nicht mehr als ein Gebrauchsgegenstand, einem Ballen Seide oder einer vergoldeten Statue vergleichbar, die gekauft und ausgestellt wurden.
Mit zunehmendem Alter wurde ihr immer klarer, welche Last äuÃere Makellosigkeit sein konnte, aber gleichzeitig packte sie Angst bei der Vorstellung, sie zu verlieren. Mit wachsender Unruhe hatte sie das Anschwellen ihres Körpers beobachtet: die verdickten Venen, die Vorwölbung des Nabels und die Ãberdehnung der Haut, die sich in Dutzenden blasser Streifen äuÃerte.
Auch wenn sie vor Ãbelkeit fast nichts zu sich nahm, schwoll ihr Körper immer heftiger an. Jeden Morgen, wenn Pavlina das ebenholzfarbene Haar ihrer Herrin flocht und aufsteckte, unterhielten sich die beiden Frauen vor dem Spiegel.
»Sie sind immer noch genauso schön wie früher«, versicherte ihr Pavlina. »Bloà um die Taille ein bisschen dicker.«
»Ich fühle mich ganz aufgebläht, Pavlina. Ãberhaupt nicht schön. Und ich weiÃ, Konstantinos kann meinen Anblick nicht mehr ertragen.«
Die Blicke der beiden Frauen trafen sich im Spiegel, und Pavlina sah Olgas Niedergeschlagenheit. Doch Olga war in ihrem Unglück fast noch schöner, und ihre pechschwarzen Augen wirkten noch tiefgründiger, wenn Tränen darin standen.
»Er kommt wieder zu Ihnen zurück«, sagte Pavlina beschwichtigend. »Sobald das Baby geboren ist, kommt alles wieder in Ordnung. Sie werden schon sehen.«
Pavlina sprach aus Erfahrung. Sie hatte bereits vor ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahr vier Kinder geboren und war nach den ersten drei Geburten der lebende Beweis gewesen, dass die Spuren der Schwangerschaft überwunden werden konnten. Nach der vierten Schwangerschaft allerdings hatte ihr Körper seine Elastizität verloren. Olga warf einen Blick auf die ausladende Figur ihrer Haushälterin, die eher den Eindruck vermittelte, als stünde sie selbst kurz vor der Niederkunft.
»Ich hoffe, du hast recht, Pavlina«, antwortete sie und legte das Tuch beiseite, das sie ohne sonderliches Geschick zu säumen versuchte.
»Wann genau wollen Sie das denn fertig bekommen?«, fragte Pavlina neckend, als sie das winzige Tuch aufnahm, um die Handarbeit ihrer Herrin zu begutachten. »Das Baby soll diesen Monat kommen? Oder erst nächstes Jahr?«
In sechs Monaten hatten Olgas Stickereiversuche kaum einen Fortschritt gemacht. Die Nadel entglitt ihren schwitzenden Fingern, und da sie sich mehrmals gestochen hatte, waren Blutstropfen auf das cremefarbene Leinen gefallen.
»Es sieht furchtbar aus, nicht?«
Pavlina lächelte und legte das Tuch beiseite. Dieser Feststellung konnte sie nicht widersprechen. Olgas Hände waren nicht zum Sticken geeignet. Trotz ihrer schlanken, zarten Finger besaà sie kein Geschick im Umgang mit der Nadel, und Handarbeiten war für sie nur eine Tätigkeit, um die Zeit totzuschlagen.
»Ich wasche es und mache es dann fertig für Sie, ja?«
»Danke, Pavlina. Wenn es dir nichts ausmacht?«
Während der ganzen Schwangerschaft hatte Olga sich schlecht gefühlt, aber in den frühen Morgenstunden dieses Augusttages packte sie ein Gefühl groÃer Unruhe. Sie konnte nicht mehr liegen, der Rücken tat ihr weh, und die seit einer Woche anhaltenden Schmerzen im Unterbauch nahmen plötzlich zu. Ihre Zeit war schlieÃlich gekommen.
Obwohl Samstag war, ging Konstantinos wie üblich um halb sieben in sein Büro.
»Auf Wiedersehen, Olga«, sagte er und kam in ihr Schlafzimmer, als die Wehen gerade nachgelassen hatten. »Ich bin im Geschäft, Pavlina kann mich holen lassen, wenn du mich brauchst.«
Sie versuchte zu lächeln, als er seine Hand auf die ihre legte. Die Geste sollte sie beruhigen, war aber so flüchtig und oberflächlich, dass sie nichts Liebevolles darin spüren konnte. Ihre Schmerzen
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