Eine Geschichte von Liebe und Feuer
â¦Â«
»Katerina, ich bin sicher, er möchte keine Eiscreme!«
Der Kellner tauchte wieder auf.
»Ich möchte bloà ein Glas Wasser bitte.«
»Ist das alles? Bist du sicher?«, fragte seine GroÃmutter. »Wie wärâs mit Frühstück?«
Der Kellner war schon wieder fort. Der alte Mann beugte sich vor und berührte den Arm seines Enkels.
»Also wieder keine Vorlesungen heute?«, fragte er.
»Nein, leider«, antwortete Mitsos. »Inzwischen bin ich daran gewöhnt.«
Der junge Mann besuchte einen Master-Lehrgang an der Universität von Thessaloniki, aber da sich auch die Dozenten gemeinsam mit allen Beamten des Landes im Streik befanden, hatte er frei. Nach einer langen Nacht in den Bars auf der Proxenou Koromila war er jetzt auf dem Heimweg, um sich schlafen zu legen.
Er war in London aufgewachsen, hatte aber jeden Sommer bei seinen GroÃeltern in Griechenland verbracht und von seinem fünften Lebensjahr an jeden Samstag eine griechische Schule besucht. Sein Jahr an der Universität war nun fast vorbei, und wegen der Streiks waren oft Vorlesungen ausgefallen, aber die Landessprache beherrschte er inzwischen absolut flieÃend.
Obwohl ihn seine GroÃeltern bedrängt hatten, bei ihnen zu wohnen, lebte Mitsos im Studentenheim, aber er besuchte sie regelmäÃig an den Wochenenden, und sie erdrückten ihn fast mit ihrer Liebe, wie es bei griechischen GroÃeltern üblich ist.
»Dieses Jahr hat es so viele Streiks gegeben wie noch nie«, sagte sein GroÃvater. »Aber wir müssen uns damit abfinden, Mitsos. Und hoffen, dass es besser wird.«
Neben den Lehrern und Ãrzten befanden sich auch die Müllmänner im Streik, dazu fuhren wie gewöhnlich auch keine öffentlichen Transportmittel. Und für die Schlaglöcher in den StraÃen und die rissigen Gehsteige fühlte sich auch niemand zuständig. Selbst in den besten Zeiten war das Leben hier schwer für die zwei alten Leute, und Mitsos wurde sich plötzlich ihrer Gebrechlichkeit bewusst, als er einen Blick auf den von Narben entstellten Arm seiner GroÃmutter und die arthritischen Finger seines GroÃvaters warf.
Im gleichen Moment bemerkte er einen Mann, der über den Gehsteig auf sie zukam und mit einem weiÃen Stock den Weg vor sich abtastete. Er hatte einen wahren Hindernisparcours zu bewältigen: rücksichtslos abgestellte Autos, die das halbe Trottoir versperrten, dazu verschiedene Stra Ãenpoller und Kaffeehaustische, denen er ausweichen musste. Mitsos sprang auf, als er den Mann zögern und schlieÃlich verwirrt vor einem mitten auf dem Gehsteig platzierten Reklameschild anhalten sah.
»Darf ich Ihnen helfen?«, fragte er. »Wohin möchten Sie denn?«
Er blickte in ein Gesicht, das jünger war als sein eigenes, und in milchige, blinde Augen. Die Haut war auffallend blass, und über einem Augenlid verlief eine gezackte, schlecht genähte Narbe.
Der blinde Mann lächelte in Mitsosâ Richtung.
»Danke, aber ich komme schon zurecht«, antwortete er. »Ich gehe diesen Weg jeden Tag. Allerdings gibt es immer wieder unliebsame Ãberraschungen â¦Â«
Autos donnerten auf der kurzen Strecke bis zur nächsten Ampel vorbei, und in dem Lärm gingen Mitsosâ Worte fast unter.
»Darf ich Ihnen wenigstens auf die andere Seite helfen?«
Er nahm den Arm des jungen Mannes, und sie überquerten gemeinsam die StraÃe, obwohl Mitsos das Selbstvertrauen und die Entschlossenheit des Blinden spürte und es ihn deshalb fast ein wenig verlegen machte, ihm behilflich zu sein.
Als sie auf den gegenüberliegenden Gehsteig traten, lockerte er seinen Griff am Arm des Mannes. Ihre Blicke schienen sich zu treffen.
»Vielen Dank.«
Mitsos erkannte, dass nun eine neue Gefahr für den Blinden drohte. Ganz in der Nähe befand sich eine Böschung, die steil zum Meer abfiel.
»Sie wissen, dass Sie ganz dicht am Wasser sind?«
»Natürlich weià ich das. Wie gesagt, ich gehe diesen Weg jeden Tag.«
Die anderen Spaziergänger, die nur mit sich selbst beschäftigt waren oder ausschlieÃlich die hämmernde Musik ihrer MP 3 -Player wahrnahmen, bemerkten nichts von der Verletzlichkeit des Mannes. Seinen weiÃen Stock registrierten sie erst, wenn es schon fast zum Zusammenstoà gekommen war.
»Wäre es nicht sicherer, einen weniger überfüllten Weg zu nehmen?«, fragte
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