Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Prolog
Mai 2007
E s war halb acht Uhr morgens. Nie war es ruhiger in der Stadt als um diese Stunde. Ãber der Bucht hing ein silbriger Dunst, und das trübe Wasser plätscherte leise gegen die Kaimauern. Der Himmel war fahl und die Luft mit Salz erfüllt. Für manch einen ging eine durchzechte Nacht zu Ende, für andere begann ein neuer Arbeitstag. Ungepflegt wirkende Studenten tranken den letzten Kaffee und rauchten Zigaretten neben ordentlich gekleideten älteren Paaren, die ihren Morgenspaziergang unternahmen.
Als sich der Dunst langsam lichtete, kam in der Ferne über dem Thermaischen Golf der Olymp zum Vorschein, und Meer und Himmel warfen ihre bleiche Hülle ab. Wie Riesenhaie, die sich dunkel vor dem Blau abzeichneten, lagen Tanker vor der Küste, und weiter drauÃen fuhren ein paar kleinere Schiffe über den Horizont.
Ãber die marmorgepflasterte Promenade entlang der groÃen Bucht bewegte sich ein konstanter Menschenstrom: Damen mit ihren Hündchen, Jugendliche, Jogger, Rollerblader, Fahrradfahrer und Mütter mit Kinderwagen. Zwischen der Promenade und den Reihen von Cafés schoben sich Autos im Kriechtempo in die Innenstadt, deren Fahrer, halb hinter Sonnenblenden verborgen, stumm die Lippen zu den neuesten Hits aus dem Radio bewegten.
Mit gemächlichen Schritten nach einer durchtanzten, feuchtfröhlichen Nacht ging ein schlanker, junger Mann in teuren, ausgefransten Jeans am Uferweg entlang. Bartstoppeln standen in seinem gebräunten Gesicht, doch seine schokoladenbraunen Augen wirkten frisch und hellwach, und er summte im Gehen leise vor sich hin. Sein entspannter Gang zeugte von einem Menschen, der mit sich und der Welt zufrieden war.
Auf der anderen StraÃenseite, in dem schmalen Bereich zwischen Bistrotischen und Bordsteinkante, ging ein älteres Ehepaar zu seinem Stammcafé. Der Mann gab mit vorsichtigen Schritten das Tempo vor und stützte sich dabei schwer auf seinen Stock. Beide waren vielleicht um die neunzig, nicht gröÃer als eins fünfundsechzig und sorgfältig gekleidet. Er in einem frisch gebügelten, kurzärmeligen Hemd und hellen Hosen, sie in einem einfachen geblümten Baumwollkleid mit Gürtel um die Taille, die Art von Kleid, die sie wahrscheinlich schon seit fünfzig Jahren trug.
Alle Kaffeehausstühle entlang der Promenade waren zum Meer hin ausgerichtet, damit die Gäste das quirlige Treiben von Menschen und Fahrzeugen und auch die Schiffe beobachten konnten, die geräuschlos in den Hafen hinein- und wieder hinausglitten.
Dimitri und Katerina Komninos wurden vom Besitzer des Assos-Cafés begrüÃt und wechselten ein paar Worte über den Generalstreik mit ihm. Da ein GroÃteil der arbei tenden Bevölkerung an diesem Tag freihatte, würde das Café mehr Umsatz machen, also gab es keinen Grund zur Klage für den Wirt. Arbeitskämpfe waren in dieser Stadt ohnehin nichts Besonderes.
Sie mussten nicht ausdrücklich bestellen, denn sie tranken ihren Kaffee immer auf dieselbe Weise â stark und süà â und teilten sich dazu ein kadayif , ein köstliches Gebäck, das wegen der dünnen Teigfäden auch Engelshaar genannt wurde.
Der alte Mann hatte sich gerade in die Lektüre der neuesten Nachrichten vertieft, als seine Frau aufgeregt seinen Arm tätschelte.
»Schau â schau, agapi mou ! Da ist Dimitri!«
»Wo denn, meine SüÃe?«
»Mitsos! Mitsos!«, rief sie und benutzte die Verkleinerungsform des Namens, den ihr Mann und ihr Enkel trugen, aber der junge Mann konnte nichts hören im Lärm der hupenden Autos, die gerade mit aufheulendem Motor an der Ampel lospreschten.
Als Mitsos aus seiner Tagträumerei aufblickte, entdeckte er seine heftig winkende GroÃmutter und schlängelte sich lässig durch den Verkehr.
»Yiayia!« , sagte er und schloss sie in die Arme, dann ergriff er die ausgestreckte Hand seines GroÃvaters und küsste ihn auf die Stirn. »Wie gehtâs euch? Was für eine schöne Ãberraschung ⦠ich wollte euch heute besuchen.«
Seine GroÃmutter strahlte übers ganze Gesicht. Sie und ihr Mann vergötterten ihren Enkel, und der genoss ihre Zuneigung.
»Komm, wir bestellen was für dich!«, sagte seine GroÃmutter aufgeregt.
»Nein danke. Wirklich nicht. Ich möchte nichts.«
»Aber irgendwas möchtest du doch sicher â einen Kaffee, Eiscreme
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