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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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zeigt mit dem Finger auf Sie oder verspottet Sie?«
    »Nein. Die anderen scheinen das völlig normal zu finden. Wenn es überhaupt eine Reaktion gibt, dann höchstens vage Neugier. Sie blicken mich flüchtig an und setzen ihr Gespräch fort.«
    »Erntet Ihr Penis auch ›flüchtige Blicke‹?«
    »Wenn Sie mich so fragen, ja. Tatsächlich.«
    Daraufhin setzte Stille ein. Lysander schloss die Augen, er konnte das Kratzen von Bensimons Füller hören. Um zwischendurch auf andere Gedanken zu kommen, besann er sich auf die Freuden des vergangenen Wochenendes. Er hatte den Zug nach Puchberg genommen und dort die Nacht im Bahnhofshotel verbracht. Dann war er mit der Zahnradbahn auf den Hochschneeberg gefahren und den ganzen Weg zum Alpengipfel hin- und wieder zurückgelaufen (seine Wanderstiefel hatte er mitgebracht). Wie immer, wenn er in den Bergen oder auf dem Land wandern ging, fielen alle Sorgen und Bedenken von ihm ab. Vielleicht war das der beste Grund gewesen, nach Österreich zu fahren, dachte er – neue Wege, neue Landschaften. Am Wochenende konnte er immer den Zug nehmen und in den Bergen wandern, um den Kopf frei zu bekommen, seine Probleme zu vergessen. Die Wanderkur …
    »Träumen Sie das häufiger?«, fragte Bensimon.
    »Ja. Mit kleinen Abweichungen. Manchmal sind weniger Leute da.«
    »Aber Sie stehen im Vordergrund – nackt, inmitten vollständig bekleideter Frauen.«
    »Ja. Allerdings nicht immer im Theater.«
    »Warum träumen Sie das, was glauben Sie?«
    »Eigentlich hatte ich gehofft, Sie würden mir das verraten.«
    »Lassen Sie uns beim nächsten Mal fortfahren.« Mit diesen Worten beendete Bensimon die Sitzung. Lysander stand auf und streckte sich – es war anstrengend, sich derart konzentrieren zu müssen.
    »Schreiben Sie weiterhin alles auf«, sagte Bensimon, als er ihn zur Tür brachte. »Wir machen Fortschritte.« Er schüttelte ihm die Hand.
    »Bis nächsten Mittwoch«, sagte Lysander.
    »Der Sohn von Halifax Rief, wer hätte das gedacht.«
    Lysander saß im Café Central, trank einen Kapuziner und dachte an seinen Vater. Sein Versuch, ihn heraufzubeschwören, scheiterte wieder einmal. Er hatte nur das Bild eines großen massigen Mannes vor sich, dazu ein feistes vierschrötiges Gesicht, von dickem ergrautem Haar gekrönt. Die berühmte Stimme hatte er natürlich noch im Ohr, den klangvollen grollenden Bass, aber was ihm vor allem in Erinnerung geblieben war, war der Geruch seines Vaters – der Duft der Brillantine, die er sich in die Haare rieb und sein Barbier eigens für ihn zubereitete. Ein beißender Hauch von Lavendel als anfängliche Note, unterlegt vom reichhaltigeren Aroma des Lorbeers. Ziemlich stark parfümiert, mein Vater, dachte Lysander. Und dann starb er.
    Lysander sah sich im weitläufigen Café mit den hohen Decken und der Glaskuppel um. Es war ruhig. Ein paar zeitunglesende Gäste, eine Mutter, die mit ihren zwei kleinen Töchtern den Kuchenwagen in Augenschein nahm. Die Sonne fiel schräg durch die großen Fenster und ließ die rubinroten und bernsteingelben Buntglasrauten aufleuchten. Lysander winkte dem Kellner und bestellte einen Cognac, er wollte die beschauliche Stimmung noch ein wenig auskosten. Als ihm der Cognac serviert wurde, kippte er ihn in den Kapuziner und zog Blanches Brief hervor. Ihr erster, seit er nach Wien gekommen war – er hatte ihr vier Mal geschrieben … Er strich die Blätter glatt. Königsblaue Tinte, ihre schwungvolle zackige Handschrift, die sich über die ganze Seite erstreckte, bis zum Rand.
    Liebster Lysander,
    Du bist mir sicher böse, aber ich vermisse Dich wirklich sehr, und ich wollte Dir auch die ganze Zeit schreiben, aber Du kennst mich, und Du weißt ja, wie furchtbar hektisch es hier zugeht. Wir haben die Probelesung von »June in Flammen« abgehalten, aber es ist wohl nicht so gut gelaufen, zwei Tage später mussten wir wieder geschlossen antreten. Für mich ist das eine wunderbare Rolle, und es kommt auch ein junger Gardeoffizier vor, für den Du in meinen Augen die Idealbesetzung wärst. Soll ich unserem guten Manley sagen, dass es Dich interessiert? Er würde mir einfach jeden Wunsch erfüllen, der liebe alte Narr. Aber dann müsstest Du schleunigst nach Hause zurückkommen, mein Schatz. Es wäre zu schön, wieder mit Dir zu arbeiten. Schlägt Deine mysteriöse Kur an? Dauert sie noch lange? Nimmst Du Salzbäder und duschst kalt und trinkst Eselsmilch und all das Zeug? Wenn mich Leute fragen, sage ich, dass Du »unpässlich«

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