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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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hatte das Ungeheuer seinen Kopf behalten – eine wüste Mischung aus Drache und Krokodil – , und der Name des Komponisten war vollständig: Gottlieb Toller. Lysander fiel ein, dass er Herrn Barth nach diesem Toller fragen könnte. Er hörte eine Kapelle, sie spielte die militärisch angehauchte Version eines Strauss’schen Walzers, und er passte seinen Schritt dem Takt der Trommelschläge an. Dabei dachte er an Blanches schönes längliches Gesicht, ihre dünnen knochigen Handgelenke mit den klirrenden Armreifen, ihre hohe schmale Gestalt. Er liebte sie wirklich, dachte er, darum wollte er sie heiraten – nicht, um den Schein zu wahren oder den Konventionen zu genügen. Um ihretwillen musste er sich bemühen, wieder gesund zu werden, ein normaler Mann, der mit einer wundervollen Frau eine glückliche Ehe führen konnte.
    Er überquerte den Ring mit aller gebotenen Vorsicht, unterdessen stimmte die Kapelle eine Art Schnellmarsch oder Polka an. Der Rhythmus beflügelte ihn, als er die Mariahilfer Straße entlangbummelte, hinter ihm wurde die Musik immer leiser, ging im Verkehrslärm unter, während die Kapelle in Richtung Kaserne zurückmarschierte, sie hatte ihre Pflicht erfüllt und die biederen Wiener Bürger ein Stündchen lang bespaßt. Lysander spürte die Sonne auf seinen Schultern brennen, eine Fülle seltsam widersprüchlicher Gefühle befiel ihn – Stolz darüber, dass er sich aus freien Stücken für eine Therapie entschieden hatte, Genuss am Bummel durch die inzwischen vertrauten Straßen dieser fremden Stadt, beides unterlegt von einer verhaltenen melancholischen Freude, weil Blanche mit den allwissenden, verständnisvollen Augen weit, weit weg war.

7. Die primäre Sucht
    »Wie ist es beim Masturbieren?«, fragte Bensimon.
    »Da klappt es fast immer. In neun von zehn Fällen, würde ich sagen. Das ist nicht das Problem.«
    »Aha. Die primäre Sucht.«
    »Wie bitte?«
    »Ein Ausdruck von Dr. Freud … « Bensimon hielt den Füller bereit. »Was stimuliert Sie?«
    »Es kommt darauf an.« Lysander räusperte sich. »Ich denke meist an Personen – Frauen – , die ich früher begehrt habe, und dann stelle ich mir eine – « Er verstummte. Nun erkannte er, wie hilfreich es war, dass er seinem Gesprächspartner nicht gegenübersaß. »Ich stelle mir eine Situation vor, bei der alles nach Wunsch verläuft.«
    »Natürlich rein hypothetisch. Die Hypothese einer perfekten Welt. Die Wirklichkeit ist weitaus komplizierter.«
    »Ja, mir ist schon bewusst, dass das reine Fantasie ist.« Lysander versuchte, seine Gereiztheit nicht anklingen zu lassen. Bensimon nahm das Gesagte manchmal allzu wörtlich.
    »Aber das ist durchaus von Nutzen«, sagte Bensimon. »Ist Ihnen ›Parallelismus‹ ein Begriff?«
    »Nein. Ist das schlimm?«
    »Keineswegs. Es handelt sich um eine Theorie, die ich selbst entwickelt habe, gewissermaßen als Ergänzung zum zentralen Ansatz von Dr. Freuds Psychoanalyse. Vielleicht kommen wir später einmal darauf zurück.«
    Stille. Lysander hörte Dr. Bensimons Plopplaute. Plopp-plopp-plopp machten seine Lippen. Nervtötend.
    »Lebt Ihre Mutter noch?«
    »Sie erfreut sich bester Gesundheit.«
    »Erzählen Sie mir mehr. Wie alt ist sie?«
    »Neunundvierzig.«
    »Beschreiben Sie Ihre Mutter.«
    »Sie ist Österreicherin. Spricht fließend Englisch, praktisch akzentfrei. Sie ist sehr elegant. Immer auf der Höhe der Zeit.«
    »Ist sie schön?«
    »Ich denke schon. Als junge Frau war sie sehr schön. Ich habe Fotos gesehen.«
    »Wie heißt sie?«
    »Anneliese. Meistens wird sie Anna gerufen.«
    »Mrs Anneliese Rief.«
    »Nein. Lady Faulkner. Nach dem Tod meines Vaters hat sie einen Lord Faulkner geheiratet.«
    »Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrem Stiefvater?«
    »Sehr gut. Crickmay Faulkner ist älter als meine Mutter – deutlich älter. Er ist über siebzig.«
    »Aha.« Lysander hörte den Füller kratzen.
    »Denken Sie auch in sexueller Hinsicht an Ihre Mutter?«
    Lysander unterdrückte ein müdes Stöhnen. Er hatte wirklich Besseres von Bensimon erwartet.
    »Nein«, sagte er. »Bestimmt nicht. Nie. Niemals.«

8. Ein schneidiger Kavallerieoffizier
    Lysander staunte, als er Wolfram sah. In voller militärischer Uniform stand er in der Diele, sein Säbel schleifte am Boden, den Tschako trug er unterm Arm, die schwarzen Stiefel waren gespornt und mit Knieschonern versehen. Er wirkte ungeheuer imposant.
    »Großer Gott«, rief Lysander bewundernd aus. »Steht eine Parade an?«
    »Nein«, sagte

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