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Eine große Zeit

Eine große Zeit

Titel: Eine große Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Boyd
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Warmwasserheizung und elektrischem Licht ausgestattet; das großzügige Badezimmer, das von allen Gästen genutzt wurde, war modern (Toilette mit Wasserspülung) und sauber. In einer Agentur hatte Lysander sich eine Liste von Pensionen geben lassen, die ihm ein komfortables Schlafzimmer mit geräumigem Kleiderschrank sowie einen zuverlässigen Wäschedienst boten (er hatte sehr genaue Vorstellungen, was die Stärkung seiner Hemden anging), außerdem sollte eine Tramhaltestelle in der Nähe sein. Die Pension Kriwanek war die erste auf seiner Besichtigungstour, und als er sah, dass das Zimmer aus einem Salon, einem durch Vorhänge abgetrennten Alkoven samt Doppelbett und einer kleinen Schrankkammer bestand, die als Ankleidezimmer diente, mit ausreichend Regalen und Stauraum für seine Garderobe, machte er sich nicht die Mühe weiterzusuchen. Und das hatte ihn vermutlich dazu bewogen, nach dem Essen über einen Umzug nachzudenken – hätte er nicht erkunden sollen, was in Wien sonst noch möglich war? Doch hier hatte er immerhin einen Hauslehrer, das durfte er nicht außer Acht lassen.
    Betrat man die Wohnung im dritten Stock, gelangte man durch die Flügeltüren zunächst in eine große Diele – groß genug für zwei Bergères mit Rohrlehnen und einen runden Tisch, in dessen Mitte eine ausgestopfte Eule unter einer Glasglocke thronte. Von der Diele führte ein langer Flur zum Speiseraum, zu den drei Gästezimmern – in denen Lysander, Wolfram und Herr Barth untergebracht waren – und zum gemeinsamen Bad. Am Ende des Flurs befand sich eine Tür mit dem Schild »Privat«; dahinter vermutete Lysander den Küchenbereich und die Gemächer von Frau K. Nie hatte er gewagt, durch diese Tür zu gehen. Da auch Traudl in der Pension wohnte, musste sie dort irgendwo ein Eckchen für sich haben. Allem Anschein nach verlief parallel zum Flur noch ein schmaler Dienstbotengang von der Küche zum Speiseraum – der mit zwei Türen ausgestattet war – , doch davon abgesehen, hatte Lysander nur eine vage Vorstellung vom Grundriss der Pension – wer wusste schon, was sich hinter dem Privat -Schild verbarg? Die Räume waren komfortabel, man hatte seine Ruhe. Das Frühstück wurde einem aufs Zimmer serviert, Abendessen gab es gegen Aufpreis, Lunchpakete konnte man einen Tag im Voraus bestellen. Ihm wurde bewusst, dass er sich hier auf seltsame Art heimisch fühlte.
    Traudl kam herein und räumte die Dessertteller ab.
    »Wie geht’s, Traudl?«, fragte Lysander. Sie war ein kräftiges, dralles Mädchen, ziemlich unbeholfen dazu.
    Wie aufs Stichwort ließ sie einen Dessertlöffel fallen.
    »Nicht so gut, mein Herr«, sagte sie, hob den Löffel auf und rieb den Vanillesoßenfleck mit einer Serviette weg.
    »Warum denn?«
    »Ich schulde Frau Kriwanek so viel Strafgeld, dass mir in diesem Monat kein Lohn bleibt.«
    »Das tut mir leid. Du musst besser aufpassen.«
    »Traudl? Traudl soll aufpassen? Völlig undenkbar!«, ertönte eine männliche Stimme.
    »Guten Abend, Herr Leutnant«, sagte Traudl errötend.
    Wolfram Rozman zog einen Stuhl vom Tisch und ließ sich darauf fallen.
    »Traudl, mein kleines Flauschküken, bring mir doch ein bisschen Brot und Käse.«
    »Aber gern, Herr Leutnant.«
    Wolfram lehnte sich über den Tisch und klopfte Lysander auf die Schulter. Er trug einen hellblauen Anzug und eine fliederfarbene Fliege. Er war sehr groß, um einiges größer als Lysander, und bewegte sich mit dieser lockeren, schlaksigen Trägheit, die für hochgewachsene Männer typisch ist. So fläzte er sich hin, den Arm über die Lehne des Nachbarstuhls geworfen, und streckte die Beine unter dem Tisch aus. Seine hellblauen Hosenaufschläge und Gamaschen ragten neben Lysanders Platz unter dem Tisch hervor. Wolfram hatte einen verhangenen, müden Blick und einen dichten blonden Schnurrbart mit gewachsten Enden, die über seine vollen weichen Lippen gezwirbelt waren.
    Lysander bot ihm eine Zigarette an, Wolfram nahm sie und zündete sie, nachdem er seine Taschen vergeblich nach Streichhölzern durchforstet hatte, mit Lysanders Feuerzeug an.
    »Ich stehe wohl auf ihrer allerschwärzesten Liste«, sagte Wolfram und blies formvollendete Rauchringe in die Luft. »Schwarz wie die Nacht.«
    »Sagen wir einfach, du bist nicht besonders ›erfreulich‹.«
    »Ich bin den ganzen Weg hierher gerannt, weil ich nicht zu spät kommen wollte, und dann dachte ich – Herrgott sakra, nein, das halte ich nicht aus. Und so bin ich stattdessen ins Café gegangen und

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