Eine italienische Kindheit
dem Köder hingen. Biss der Krake zu, wurde er am Haken heraufgezogen und ins Boot gehievt. Damit war der Vorgang zu Ende.
Feigenkakteen
Vom Strand aus konnte man auch die stacheligen Schaufeln der dunkelgrünen Feigenkakteen erkennen, die aus den felsigen, nach Taormina hinaufführenden Hängen hervorwuchsen. Auch diese «wundersame» Pflanze mit ihren eiförmigen gelben oder violettroten Früchten hatte Goethe begeistert. Er hatte ganze Hecken davon auf dem Weg nach Catania gesehen und sich sogar Samen davon beschafft, um ihn nach Rom mitzunehmen. Hier säte er ihn in der kleinen Loggia des Hauses, wo er wohnte, aus. Der Feigenkaktus gedieh prächtig und wurde zwei Meter hoch.
Mein Vater war Kaufmann, und sein Beruf führte ihn dazu, viel zu reisen. Diese häufigen Reisen, die ihn von Sizilien weg immer weiter nach Norden führten, machten ihn mit einer anderen und besseren Welt bekannt, wie er sie in Mittelitalien gefunden hatte. Seine zwar bescheidene Bildung, gepaart mit Unternehmungsgeist und vielfältiger Neugier, hatte ihn, wie gesagt, schon länger den Plan hegen lassen, der Insel den Rücken zu kehren und die Familie in eine Stadt des Festlands zu verpflanzen, um dem bedrückenden Sumpf von Catania zu entfliehen. Nur meine Mutter, die in unserem Viertel fest verwurzelt war und dort die Gesellschaft und Unterstüzung von Verwandten und Bekannten genoss, hatte bis jetzt nicht diegeringste Bereitschaft gezeigt, den etwas riskanten Plänen meines Vaters zuzustimmen. Sie lebte recht gut in Catania und setzte jedem Plan eines Wechsels zähen Widerstand entgegen. Jetzt aber zwangen sie die immer häufigeren Bombenangriffe nachzugeben. Mein Vater hatte in diesen Jahren verschiedene Geschäftsverbindungen angeknüpft und sich dabei in Lucca mit einem kleinen Industriellen persönlich befreundet. Dessen Produkte – was es war, weiß ich nicht mehr genau – kaufte er bei ihm ein und vertrieb sie in anderen italienischen Städten. Diesen Anhaltspunkt nutzte er und brachte uns nach Lucca. Es war kein leichtes Unterfangen, Frau und fünf Kinder mit großen Bergen von Gepäck und Hausrat in den Zug zu verfrachten, um die lange Reise zu einem so entfernten Ziel anzutreten. Doch mein Vater ließ sich nicht entmutigen. Wir brachen zum großen Abenteuer auf.
Der Tag der Abreise war der denkwürdigste meiner ganzen Kindheit. Ich erinnere mich, wie wir in tiefer Nacht im schwachen Schein der verdunkelten Bahnhofslampen den Zug bestiegen. Am klaren, wolkenlosen Himmel stand noch der Mond. Es war eine jener magischen, von hellem Mondschein verklärten Nächte, die Goethe während seines kurzen Aufenthalts in Sizilien so fasziniert hatten. Er war im Frühling dort gewesen, wenn das Mondlicht mit besonderer Leuchtkraft alles umhüllt. Meine ganze Familie schickte sich an, auf den «Kontinent», wie wir den Rest Italiens im Gegensatz zur «Insel» Sizilien zu nennen pflegten, überzusiedeln. Es war ein zukunftsträchtiger Moment, aber ich ahnte nicht, welche weitreichenden Folgen er haben sollte. Ich konnte nicht voraussehen, dass es sich um den ersten Schritt handelte, der mich einige Jahre später dazu führensollte, jede Verbindung zu Sizilien abzubrechen und nie mehr dorthin zurückzukehren. Ich nahm aus Sizilien aber viele Erinnerungen mit, mehr oder weniger deutliche Spuren meiner kindlichen Erfahrungen. Nur eine dieser Erinnerungen hatte jedoch, wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, sehr tiefe Wurzeln geschlagen und war das einzige sizilianische Erbe, das mit einer positiven, nie negativen Bedeutung in meinem späteren Leben immer lebendig blieb. Es handelte sich um die Hinterlassenschaft einer Person, die ich selbst nie gesehen hatte und nur durch die Erzählungen meiner Mutter kannte.
3. Die Großmutter
Mein Großvater mütterlicherseits hatte dreimal geheiratet. Seine dritte Frau war eine schon ältere Frau aus dem Volk, die viele Jahre lang in einem Viertel am Rand der Stadt eine Schenke betrieben hatte. Sie war wie mein Großvater verwitwet und hatte ebenfalls zwei Ehen hinter sich, aber keine Kinder. Doch war sie wohlhabend, besaß mehrere Häuser und nannte beträchtliche Ersparnisse ihr eigen, Frucht ihres langen Arbeitslebens. Mein Großvater war jünger als sie, sah gut aus und war sogar «blond», das heißt von etwas hellerer Haarfarbe, was in Sizilien selten und dementsprechend geschätzt war. Von ihm ist ein Ausweisfoto mit seiner Unterschrift auf mich gekommen. Sein Gesicht ziert ein dichter
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