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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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ist klar, dass die Aussagen der Großmutter über die Verwandlung der Barbagianna in einen Nachtvogel sehr vage waren. Mit der Beschwörungsformel wollte sie jedenfalls ausdrücken, dass der Samstag der Tag des Sabbats war und die Hexen sich zu ihrer Versammlung begeben mussten, also keine Zeit hatten, ihr Schaden zuzufügen. Sie verheimlichte nicht, dass sie eine Schülerin der Barbagianna war, der sie höhere magische Kräfte als die eigenen, die sie von ihr gelernt hatte, zuschrieb. Sie hielt es aber für nötig hinzuzufügen, dass ihre Lehrmeisterin sie nur die wohltätige Magie gelehrt habe, nicht aber jene, die Übles bewirkt.
    Francisco Goya, Linda maestra
    Die einzigen Zauberkräfte der Cucchiara, von denen meine Mutter wusste, betrafen die Heilung bestimmter Krankheitendurch Handauflegen. Sie erinnerte sich, dass sich frühmorgens, noch bevor die Kinder aufstanden, eine kleine Menschenmenge vor dem Hauseingang einfand in der Hoffnung, von der Cucchiara geheilt zu werden. Sie kam heraus, legte ihre Hand auf die kranke Stelle und sprach mit leiser Stimme eine Zauberformel, die sie nie verraten wollte. In Wirklichkeit war sie wohl davon überzeugt, nur jene Krankheiten heilen zu können, die auf einem bösen Zauber beruhten. Die Weitergabe dieser magischen Kräfte setzte den unerschütterlichen Glauben in ihre Wirksamkeit voraus, der meiner Mutter jedoch fehlte. Im Gegensatz zu ihrer Stiefmutter, die Analphabetin war, hatte sie die Grundschule besucht und konnte deshalb lesen und schreiben. Als verheiratete Frau las sie regelmäßig die Zeitung, die mein Vater mit nach Hause brachte, und wenn dieser auf Reisen war, schrieb sie ihm lange Briefe. Ihre Familie strebte nach gesellschaftlichem Aufstieg, was sie veranlasste, sich von den unteren Schichten und der magischen Welt, die deren kulturellen Horizont bildete, zu distanzieren. Was nicht bedeutete, dass meine Mutter diese Welt völlig ablehnte, aber sie sah sie nicht mehr bedingungslos als die eigene an. Die einzige abergläubische Praxis, die sie von der Stiefmutter übernahm und manchmal anwendete, war, so erinnere ich mich, divinatorischer Art. Sie nannte das «die Reisen von San Vito», bei denen ich ihr manchmal assistieren mußte. Wenn die Rückkehr meines Vaters von einer seiner Reisen sich verzögerte und er nichts von sich hören ließ, war meine Mutter besorgt und machte bei Anbruch der Dämmerung einen Spaziergang mit mir auf der Allee vor unserem Haus. Dabei richtete sie ein, ich weiß nicht, wie gestaltetes Gebet an den heiligen Vitus und versuchte, aus den Unterhaltungender Passanten ein paar Wortfetzen aufzuschnappen, was auch ich tun musste. Diese Wortstücke setzte sie dann zusammen und entnahm ihnen einen Sinn, um herauszufinden, ob es meinem Vater gut ging und er bald zurückkommen würde.
    Die Aspekte des komplexen Hexenglaubens, die in meiner Großmutter weiterlebten, stimmen mit den historischen Kenntnissen überein, die wir darüber besitzen. Diese Überzeugungen werden vor allem von den Aussagen in den seit dem 16. Jahrhundert in Sizilien vom Heiligen Offizium geführten Prozessen wegen Hexerei dokumentiert. Mehr oder weniger verblasste Spuren davon finden sich auch in den sizilianischen Volksüberlieferungen, die im 19. Jahrhundert von den Volkskundlern untersucht und aufgezeichnet wurden. Der Hochzeitszauber, das Gastmahl am Fest des heiligen Joseph, die Heilung vom Zauber, der Unterschied zwischen weißer und schwarzer Magie und die divinatorischen Praktiken sind charakteristische Elemente der Folklore. Sie haben ihre Spuren ebenso in der Sammlung von sizilianischen Märchen hinterlassen, welche die Deutsche Laura Gonzenbach in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Gegend von Catania aufzeichnete. Der Hexensabbat kommt darin zwar nicht vor, aber Anspielungen auf die von den Hexen praktizierte, schwarze Magie sind nicht selten, wobei auch die größte der diesen zugeschriebenen Kräfte, den Tod zu bewirken, nicht fehlt. Die starke Zurückhaltung, die in den betreffenden Erzählungen meiner Großmutter spürbar war, evozierte die Aura des Geheimnisvollen, die traditionell die Hexen umgab. Obwohl zu ihrer Zeit die Erinnerung an die angeblich von den Hexen praktizierten blutigen Rituale (typisch die Tötung von Kindern, umFett für ihre Salben zu gewinnen) im Volksglauben schon sehr verblasst war, glaubte man immer noch an deren Anthropophagie und magische Kräfte über Leben und Tod, ein Glaube, der von der Kirche bekämpft

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