Eine italienische Kindheit
Form eines großen Rechtecks hat, innerhalb dessen ein Geflecht von einander kreuzenden, geraden Straßen die Fläche gliedert. Vaccarini, der in Rom die Lehren von Bernini und Borromini aufgenommen hatte, entwarf auch viele öffentliche und private Bauten, die der Stadt ein barockes Aussehen verleihen, aber dennoch deren streng geometrischen Aufbau nicht antasten. Sein Werk ist auch die «Fontana dell’Elefante» in der Mitte des rechteckigen Domplatzes, der große Brunnen mit dem antiken Elefanten aus schwarzem Lavastein, der dasSymbol der Stadt ist. An diesem Platz liegt das Rathaus mit seinem quadratischen Grundriss, das ebenfalls von Vaccarini entworfen wurde.
Ansicht von Catania
Antike Elefantenskulptur, Symbol von Catania
Im Winter konnte man den schneebedeckten Gipfel des Ätnas von der Via Etnea aus sehen, der geraden, mit abgeschliffenen Lavablöcken gepflasterten Straße, welche die Altstadt in zwei Teile zerschneidet. Ausgehend vom Domplatz nahe dem Meer und dem Hafen, steigt die Straße, an anderen Plätzen vorbei, drei Kilometer lang sanft bergan, klettert dann die letzten Ausläufer des Vulkans hinauf, um schließlich vom Tondo Gioieni aus, einem kreisförmigenPlatz am Ende des höher gelegenen Teils der damaligen Stadt, bis zum Gipfel zu führen. Auf der rechten Seite des Tondo Gioieni hingen von hohen Steinmauern Zweige mit dicken Mandarinen aus den darüber liegenden Gärten hinab. Als ich als Bub einmal die Schule schwänzte und nicht so recht wusste, was ich tun sollte, geriet ich in diese Gegend und war geblendet vom goldgelben Leuchten der Früchte, die wie lebendige Wesen zwischen dem dunklen Grün der Blätter hervorschauten. Ich pflückte also eine Mandarine, machte die Schale ab und aß sie auf. Sie schmeckte so köstlich, dass ich ein paar Tage später beschloss, mit ein paar Schulkameraden wiederzukommen, um den Mandarinen zu Leibe zu rücken. Wir gingen noch ein paar andere Male dorthin, kletterten die Trockenmauern hinauf und stopften uns die Hosentaschen voll, bis uns eines Tages eine sehr unangenehme Überraschung erwartete. Als wir uns den Mauern wieder näherten, empfing uns von oben wütendes Hundegebell, und wir sahen, wie sich ein grimmiger Mann zu uns herunterbeugte. Er trug eine Doppelflinte, das typische, auf dem Land in Sizilien gebräuchliche Jagdgewehr, und begann unter wüsten Drohungen zu schreien: «Fasst den Dieb! Fasst den Dieb!» Wir flüchteten Hals über Kopf, halb tot vor Angst, und wagten es nicht, uns noch einmal blicken zu lassen.
Der Ätna war ein begehrtes Ziel vieler fremder Reisender. Auch Goethe, der berühmteste von allen, bestieg den Vulkan kühn im Mai 1787. Da ihn ein Ortskundiger auf die Gefährlichkeit des Unternehmens hingewiesen und ihn davor gewarnt hatte, bis zum Hauptkrater vorzudringen, erreichte er nur den Rand eines Nebenkraters auf den Monti Rossi, in den er wegen des Sturms beinahe hineingestürztwäre. Trotz des schlechten Wetters gelang es ihm jedoch, die herrliche Aussicht zu genießen. Sein Blick schweifte über die Küste von Messina bis Syrakus mit all ihren Kurven und Buchten. Auf der Grundlage seiner Aufzeichnungen aus jener Zeit schilderte er seine Eindrücke dann später in der
Italienischen Reise
, die er erst rund dreißig Jahre nach seinem Aufstieg auf den Ätna schrieb.
Während meiner Kindheit blieb der Vulkan fast immer ruhig. Nur einmal, im Juni 1942, erlaubte er sich eine kleine, kurze Eruption, die weder auf den Feldern noch in den Dörfern auf den Abhängen irgendwelchen Schaden anrichtete. Aber das war nicht immer so gewesen. Der aus Catania stammende Dichter Giovanni Verga, einer der wenigen bedeutenden sizilianischen Schriftsteller, der über seine Heimat hinaus in Europa – und auch in Deutschland – bekannt wurde, beschreibt in einer Novelle den Ausbruch von 1886, als die Lava das nur wenige Kilometer von Catania entfernte Dorf Nicolosi zu zerstören drohte und erst kurz vor den ersten Häusern zum Stillstand kam. Verga lebte in jenen Monaten in Catania und muss persönlich Zeuge des Höllenspektakels gewesen sein. Terrorisiert vom Feuerstrom, der sich den Häusern immer mehr näherte, verließen die Bewohner überstürzt ihre Behausungen mit ihren Habseligkeiten, dem Ackergerät, dem Mobiliar und dem Hausrat, die sie in aller Eile auf allen nur möglichen Transportmitteln in die benachbarten Dörfer schafften. Die schöne kleine Novelle, der die Erfahrung dieses Ausbruchs zugrunde liegt, schildert auf
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