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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Deshalb
beschlossen mein Kollege, Sergeant Lewis, und ich, den Mörder zum Handeln zu
zwingen. Wir ließen einen etwas ungenauen Bericht über den Fall an auffälliger
Stelle in der Oxford Mail veröffentlichen, der ihm den Eindruck
vermitteln mußte, daß sich das Netz schon um ihn zu schließen begann. Ich
dachte mir, daß er vermutlich wieder in St. Frideswide’s zuschlagen würde. Er
mußte wissen, wann Miss Rawlinson dort putzte und hatte sich seinen Plan
zurechtgelegt. Er ist an diesem Tag sehr früh in die Kirche gegangen und hat
sich dadurch der Falle entzogen, die wir ihm gestellt hatten.
    Marshall: Aber zum Glück ist es ja noch einmal gutgegangen, Inspector.
    Morse: Allerdings. Dank Sergeant Lewis.
    Marshall: Ich habe keine weiteren Fragen.
    Johns: Soviel ich weiß, haben Sie das Gespräch zwischen meiner Klientin und Josephs
vor dem Mordversuch mitangehört, Inspector?
    Morse: Jawohl, Sir.
    Johns: Ist Ihnen in diesem Gespräch irgend etwas zu Ohren gekommen, was vom Gericht
als mildernder Umstand für meine Klientin gewertet werden könnte?
    Morse: Ja, ich hörte, wie Miss Rawlinson sagte, daß —
    Richter: Ich darf den Zeugen bitten lauter zu sprechen, damit das Gericht
ihn verstehen kann.
    Morse: Ich hörte Miss Rawlinson sagen, sie habe sich entschlossen, zur Polizei zu
gehen und ein rückhaltloses Geständnis abzulegen.
    Richter: Danke, Inspector, das wäre alles.
     
     
     

43
     
    «Ich muß mich doch immer wieder wundern», sagte
Bell, «was es so für Gauner gibt. Noch dazu in der Kirche. Und ich hab immer
gedacht, daß diese Leute auf dem Pfad der Tugend wandeln.»
    «Die meisten tun das wohl auch», meinte Lewis.
    Sie saßen in Bells Büro. Das Urteil über Ruth
Rawlinson war gesprochen: Schuldig, achtzehn Monate Freiheitsstrafe. «Trotzdem
wundert’s mich», meinte Bell.
    Auch Morse war da und paffte schweigend vor sich
hin. Er rauchte entweder Kette oder überhaupt nicht und hatte schon unzählige
Ansätze gemacht, es sich abzugewöhnen. Gewiß, er konnte Bell schon verstehen,
aber... Er dachte an das Gibbon-Zitat über den mittelalterlichen Papst Johannes
XXIII, das ihn als Jungen so beeindruckt und das er damals auswendig gelernt
hatte: «Die skandalösesten Vorwürfe wurden unterdrückt. Der Statthalter Christi
wurde nur der Piraterie, des Mordes, der Vergewaltigung, Sodomie und des
Inzests beschuldigt.»
    Es war nichts Neues, daß die christliche Kirche
Schuld auf sich geladen hatte — zuviel Blut klebte an den Händen ihrer
weltlichen Verwalter, zuviel Haß und Bitterkeit wohnte im Herzen ihrer
geistlichen Herren. Aber dahinter und darüber stand die schlichte, historische
Gestalt ihres Gründers, ein Rätsel, mit dem sich Morse in seiner Jugend
ernsthaft auseinandergesetzt hatte und das auch jetzt noch bisweilen seine
Skepsis ins Wanken brachte. Er dachte an seinen ersten Gottesdienstbesuch in
St. Frideswide’s und an seine Banknachbarin: «Wasche mich, und ich werde weißer
sein als Schnee.» Eine verlockende Vorstellung, daß der Allmächtige das
Vergangene löscht und nicht nur vergibt, sondern auch vergißt. Dabei war das
Vergessen das eigentlich Schwere. Vergeben konnte selbst er, der alte Zyniker —
nicht aber vergessen. Ein paar beglückende Minuten lang hatte er an jenem Tag
in St. Frideswide’s eine Affinität empfunden, wie sie ihm zuvor nur einmal
beschieden gewesen war. Aber ihre Wege hatten sich zu spät gekreuzt, und sie
hatte geirrt wie all die anderen verlorenen Seelen, wie die Lawsons und Josephs
und Morris, und war von den für die menschliche Gesellschaft verbindlichen
Normen abgewichen. Sie hatte ihn gebeten, er möge sie aufsuchen. Sollte er es
tun? Er mußte sich bald entschließen.
    «...kein Ruhmesblatt für mich, Sergeant», hörte
er Bell sagen. «Ich leite monatelang die Ermittlung, ohne daß was passiert, und
dann kommt Morse und knackt den Fall innerhalb von vierzehn Tagen.» Er
schüttelte den Kopf. «Gerissener Hund.»
    Lewis wußte nicht recht, was er dazu sagen
sollte. Morse hatte ein geradezu unheimliches Talent, sich in den dunklen
Labyrinthen menschlicher Motive und menschlichen Verhaltens zurechtzufinden,
und er war stolz darauf, mit ihm zusammenzuarbeiten. Es freute ihn auch, daß
Morse in der heutigen Verhandlung seinen Namen genannt hatte. Aber im Grunde
war er ganz froh, daß er sich jetzt wieder seinen üblichen Pflichten zuwenden
konnte.
    Morse hörte erneut seinen Namen und begriff, daß
Bell ihn angesprochen hatte.
    «Also eins

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