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Eine Messe für all die Toten

Eine Messe für all die Toten

Titel: Eine Messe für all die Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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den Mord an Harry Josephs mündete. Aber das
stimmt so nicht. Bei ihrer Lüge ging es um die Identifizierung des Toten, der
an jenem Abend in der Sakristei lag. Denn der Mann, der dort ermordet
aufgefunden wurde, war nicht Harry Josephs. Es war Lionel Lawsons Bruder
Philip . »
     
     
     

42
     
    Auszug aus dem Protokoll der Verhandlung gegen
Ruth Rawlinson unter der Anklage des Meineids und der Verschwörung. Vertreter
der Anklage Gilbert Marshall, Q. C., Verteidiger Anthony Johns, Q. C.
     
    Marshall: Lassen wir einmal diese reichlich nebulöse Frage des Motivs
beiseite und wenden wir uns den Ereignissen zu, die sich im September letzten
Jahres abgespielt haben, insbesondere an dem Abend des 26. dieses Monats, einem
Montag. Das Gericht würde es begrüßen, wenn Sie darlegen würden, wie sich aus
Ihrer Sicht dieser unselige Abend abgespielt hat.
    Morse: Meiner Ansicht nach handelte es sich um eine Verschwörung, Philip Lawson zu
ermorden, an der Pfarrer Lionel Lawson, Paul Morris und Harry Josephs beteiligt
waren. Ich persönlich bin davon überzeugt, daß die Aussage der Angeklagten über
die Ereignisse des Abends im wesentlichen der Wahrheit entsprechen, das heißt,
soweit sie ihr bekannt waren, denn ich bin sicher, daß Miss Rawlinson über den
genauen Ablauf der Tat nicht informiert war, da sie an dem Mord weder aktiv
beteiligt war noch ihn mit eigenen Augen angesehen hat.
    Marshall: Ich darf Sie bitten, sich auf die eigentliche Frage zu
beschränken, Inspector. Inwieweit die Angeklagte an diesem Verbrechen beteiligt
ist, muß das Gericht entscheiden.
    Morse: Wenn ich Vermutungen über die Abfolge der Ereignisse an diesem Abend
anzustellen hätte, würden sie in etwa so aussehen: Lionel Lawson hatte
irgendwie seinen Bruder davon überzeugen können, daß es zu seinem Vorteil wäre,
an diesem Abend zu einer bestimmten Zeit in der Kirche zu sein. Daß er ein Glas
Rotwein nicht ablehnen würde, während sie dort warteten, brauchte er nicht zu
befurchten. Der Wein war mit Morphium versetzt. Daß der an diesem Abend in der
Kirche tot aufgefundene Mann an einer Morphiumvergiftung gestorben war, geht
aus dem Obduktionsbefund klar hervor. Wo das Morphium herkam, hat sich
allerdings trotz gewissenhafter Ermittlungen nicht feststellen lassen. Doch
einer der drei Beteiligten hatte früher einmal täglichen Zugriff zu zahlreichen
Produkten der pharmazeutischen Industrie gehabt, er hatte nämlich eineinhalb
Jahre als Apothekengehilfe in Oxford gearbeitet. Ich meine Harry Josephs, Sir.
Und es war meiner Ansicht nach Josephs, von dem der Vorschlag ausging und der
dem Wein die tödliche Dosis Morphium zusetzte.
    Marshall: Können Sie uns sagen, warum der Mann erstochen wurde, obgleich er
schon tot war?
    Morse: Ich glaube nicht, daß er schon tot war, Sir. Allerdings dürfte er sehr bald,
nachdem er den Wein getrunken hatte, das Bewußtsein verloren haben. Es war aber
wichtig, daß der Tod eingetreten war, wenn die Polizei eintraf. Es bestand
sonst die Möglichkeit, daß er sich wieder erholte und auspackte. Daher das
Messer. Und mit Ihrer Erlaubnis, Sir, die entscheidende Frage ist nicht, warum
er erstochen wurde, sondern weshalb man ihm Morphium gegeben hat. Meiner
Ansicht nach geschah dies, weil es zu Lionel Lawsons Plan gehörte, seinen
Bruder umzuziehen, und wenn man einen Menschen erstochen hat und ihn dann
umziehen will, geht das nur, wenn man das Messer herauszieht und danach noch
einmal zusticht. Josephs hatte verabredungsgemäß den braunen Anzug, den er
sonst immer trug, an diesem Abend nicht an, sondern hatte ihn mit in die Kirche
gebracht. Er dürfte in dem Paket gewesen sein, das Miss Rawlinson in ihrer
Aussage erwähnt. Es war klar, daß die Polizei die Sachen des Toten genau
untersuchen würde, und nur durch einen Kleidertausch ließ sich die Täuschung
mit hundertprozentiger Sicherheit bewerkstelligen. Also zogen sie Philip
Lawson, nachdem er bewußtlos in der Sakristei zusammengebrochen war, die
Kleider aus und Josephs Sachen an, ein vermutlich schwierigeres und
langwierigeres Unterfangen, aber sie waren zu dritt und hatten viel Zeit. Dann
streiften sie ihm Josephs Soutane über, und jetzt war der Augenblick der
Wahrheit für Lionel Lawson gekommen. Ich nehme an, daß er die anderen beiden
weggeschickt hat und dann führte er eine Tat zu Ende, zu der er schon einmal
angesetzt, bei der er damals aber kläglich versagt hatte. Er sah auf seinen
Bruder herunter, den er nun schon so lange haßte, und stach mit

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