Eine unberührte Welt - Band 1 (German Edition)
hatte unmittelbar zur Folge, dass Eisenhardts neuer Roman trotz eines günstig ausgefallenen Gutachtens nicht erscheinen konnte. »Die Lagerkosten«, erklärte der Agent die Position des Verlages. »Der vorige Titel muss erst weit genug abverkauft sein, ehe sie einen neuen auflegen können.«
»Und wovon soll ich so lange leben?«, fragte Eisenhardt zurück.
Diesbezüglich hatte die Politik zum Glück weise vorgesorgt. Das positive Gutachten erlaubte ihm die Beantragung von Wartegeld. Die Formulare hierfür galten nach übereinstimmender Meinung aller betroffenen Autoren als schwer verständlich und aufwendig auszufüllen, vom Aufwand für die Beibringung der geforderten Bescheinigungen und Bescheide ganz zu schweigen – da andererseits bis zur nächsten Veröffentlichungsmöglichkeit ohnehin viel Zeit ins Land gehen würde, machte es aber nichts, dass er dadurch kaum noch zum Schreiben kam.
Allerdings fühlte er sich ein wenig unwohl dabei, praktisch fürs Nichtschreiben bezahlt zu werden.
Das Makulierungsverbot änderte nichts an den stagnierenden Verkaufszahlen. Diesbezüglich kam die neu geschaffene Bundesliteraturkommission zu der Einsicht, dass eine nachhaltige Verbesserung der Situation nur zu erreichen war, indem man das Lesen selbst förderte!
Eine aufwendige Werbeaktion wurde gestartet, die Republik mit Plakaten gepflastert, auf denen Slogans wie »lies mal wieder«, »mehr Zeit für Bücher« oder »ein Buch ist Lebensfreude« zum Lesen animieren sollten. Einige aufwendig produzierte Werbespots, die Prominente erklären ließen, »ich lese heute Abend«, kamen wegen heftigen Widerstands der Fernsehsender allerdings nicht zum Einsatz.
Von Fachleuten wurde ohnehin ein zweiter Lösungsansatz für erfolgversprechender gehalten, nämlich, das Lesen durch steuerliche Anreize zu fördern: Bücher sollten künftig von der Steuer absetzbar sein! Jedes neu gedruckte Buch würde einen Gutschein enthalten, der herausgetrennt und zusammen mit der Steuererklärung eingereicht werden konnte und steuermindernd wirkte, natürlich nur bis zu einem Höchstbetrag, wobei für bestimmte Berufsgruppen Ausnahmeregelungen gelten würden. In einer Fernsehsendung rechnete ein Experte vor, dass der durchschnittliche Steuerzahler schon mit nur zwei Büchern pro Monat seinen Goethe-Pfennig amortisieren konnte.
Im ersten Jahr ging diese Rechnung allerdings nicht auf; zu blauäugig war man bei der Umsetzung vorgegangen. Die Gutscheine erwiesen sich als leicht zu fälschen, und das wurden sie auch massenhaft. Rekordhalter war ausgerechnet der zweite Roman eben der Tochter des Wirtschaftsministers – eine Liebesgeschichte zwischen zwei Studenten der Soziologie; die Autorin hatte ein neues Studium aufgenommen –, der bislang kaum zweitausendmal über die Theke gegangen war, von dem aber insgesamt eine Million Gutscheine eingereicht wurden.
Ein »Runder Tisch« von Vertretern des Buchhandels, des Verlagswesens und der Kultusministerien erarbeitete daraufhin neue Verfahrensweisen. Man einigte sich darauf, die Gutscheine fortan mit verschlüsselten, eindeutigen Codenummern und Hologrammen zu versehen; Verlage mussten die Gutscheinbögen von der Bundesdruckerei beziehen, die ansonsten Pässe und Ausweise herstellte und für diese Aufgabe zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen würde. Da die Produktion der Bücher dadurch natürlich aufwendiger wurde, war eine Anhebung des Goethe-Pfennigs auf 17 % unumgänglich.
Letztlich half jedoch auch das nichts. Die Zahl der imdarauffolgenden Jahr eingereichten Gutscheine entsprach zwar ungefähr der Zahl der verkauften Bücher, doch nach wie vor griffen die Leser mehrheitlich lieber zu Romanen der bekannten Bestsellerautoren, ja, sie verlangten geradezu danach.
So verschob sich der Erscheinungstermin für Eisenhardts neues Buch von einem Jahr aufs nächste. Sein Freund, der hoffnungsvolle Nachwuchsautor, bekam überhaupt kein Manuskript mehr unter – jedenfalls nicht bei den offiziellen Verlagen. Es gebe aber, erzählte er Eisenhardt, inzwischen eine geheime Szene sogenannter »grauer« Verleger, ein Untergrund unregistrierter Büchermacher, die für kleine, feine Kreise von Kunden kostspielige Liebhaberausgaben in illegalen Kleinauflagen herstellten: Da sah er noch Chancen.
Ein riskantes Spiel, wie Eisenhardt wusste. Die Polizei war auf diese Machenschaften längst aufmerksam geworden; eigens eingerichtete »Kulturkommissariate« beaufsichtigten Druckereien und Buchbindereien, und es
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