Eine unberührte Welt
machen Sie das? Sie sind doch Amerikaner?«
»In erster Linie«, erwiderte Eduard E. Waits, »bin ich Anwalt.«
* * *
Die Kanzlei Eduard E. Waits & Partners beantragte die Eintragung der Namen ›Usama Bin Laden‹ (in allen Schreibweisen der Transkription aus dem Arabischen) sowie ›al-Qaida‹ (dito, was die Schreibweisen anbelangte) als Markenzeichen im wettbewerbsrechtlichen Sinne.
Die Anträge wurden abgelehnt. Daraufhin klagte die Kanzlei Eduard E. Waits & Partners, sehr zur Erheiterung diverser Kommentatoren und Leitartikler führender Tageszeitungen.
Doch die USA waren ein Land, in dem man einer Frau Schadensersatz in Millionenhöhe zugesprochen hatte, weil sie sich selber heißen Kaffee über die Hose geleert hatte, in dem flüchtende Verbrecher die sie verfolgenden Polizisten mit Erfolg verklagt hatten, weil diese sie unsanft zu Boden geworfen hatten, und in dem Richter Klägern Glauben geschenkt hatten, die beteuerten, nicht gewusst zu haben, dass Rauchen schädlich für die Gesundheit sei: War zu irgendeinem Zeitpunkt ernsthaft zu befürchten, dass in einem solchen Land die Klage eines weltweit gesuchten Terroristenführers auf Eintragung seines Namens als Markenzeichen scheitern würde? Natürlich nicht. Das Verfahren ging durch sämtliche Instanzen, und jedes Mal gab das Gericht der Kanzlei Eduard E. Waits & Partners recht. Den Schlussstrich zog eine Entscheidung des Supreme Court: Der Antrag sei rechtens, ihm sei stattzugeben.
Ein Kommentator meinte, nun sei wohl damit zu rechnen, dass massenhaft T-Shirts, Kaffeetassen und Bettwäsche mit dem Konterfei des bärtigen Hasspredigers auf den Markt kämen, und er sei gespannt auf die Reaktion des amerikanischen Verbrauchers darauf.
Ein Late-Night-Showstar prophezeite, nun würden die Erben Che Guevaras auch vor amerikanische Gerichte ziehen und im Nachhinein Lizenzgebühren in Millionenhöhe für die zahllosen Plakate des bärtigen Revoluzzers verlangen, die seit den Sechzigern die Wände von Studentenbuden geziert hatten.
Sie irrten sich beide.
* * *
Kurz darauf kam es zu dem Anschlag auf die U-Bahn von Kopenhagen. In der Station Christianshavn explodierten zwei Bomben, mehrere Dutzend Menschen starben, viele Hundert wurden verletzt, und auf Überwachungsvideos identifizierte man Angehörige einer islamistischen Terrorzelle als Urheber des Attentats. Reporter aus aller Welt drängelten sich in dem viel zu kleinen Presseraum der dänischen Staatsanwaltschaft, jede sich öffnende Tür auf den Fluren davor zog ein Blitzlichtgewitter nach sich, und eine Flut von E-Mails und Telefonaten spülte die aktuellsten Nachrichten in die Redaktionen von Zeitungen und Fernsehsendern überall auf dem Planeten.
Nachrichten, in denen die Bezeichnungen ›al-Qaida‹ und ›Usama Bin Laden‹ freizügig verwendet wurden, wie man sich denken konnte.
Auch Eduard E. Waits dachte sich das. Deswegen klingelte er auf die erste Meldung hin sein gesamtes Kanzleipersonal aus dem Bett und eine Hundertschaft Richter dazu, und innerhalb weniger Stunden gingen bei allen namhaften Zeitungen, Sendern und sonstigen Medien einstweilige Verfügungen ein, wonach jegliche Berichterstattung über den Anschlag von Kopenhagen zu unterlassen sei, insoweit darin mit Gewinnerzielungsabsicht Gebrauch von besagten markenrechtlich geschützten Bezeichnungen gemacht werde, unter Androhung von Ordnungsgeldern sowie Ordnungshaft in schweren Fällen.
Die Reaktionen darauf fielen unterschiedlich aus. Manche Zeitungen brachten vorsichtshalber erst einmal nur neutral gehaltene Berichte, andere Medien ignorierten die Verfügungen und räumten mit groß aufgemachten Berichten ab. Die Inhaber der Letzteren waren es, die sich kurz darauf vor Gericht wiederfanden und mit detaillierten Aufstellungen konfrontiert sahen, wie viel Gewinn sie mit der widerrechtlichen Verwendung geschützter Markenzeichen erzielt hatten: Der Vergleich mit den Absatzzahlen und Einschaltquoten jener Zeitungen und Sender, die den vorsichtshalber erlassenen einstweiligen Verfügungen gefolgt waren, ermöglichte eine überzeugende Vergleichsrechnung. So folgten die Gerichte in den meisten Fällen den Anträgen der klagenden Partei und verurteilten die beklagten Medien zur nachträglichen Zahlung von Lizenzgebühren und darüber hinaus zu Geldstrafen wegen Verstoßes gegen das Marken- und Urheberrecht sowie Zuwiderhandlung gegen eine rechtsgültige einstweilige Verfügung.
Die betroffenen Zeitungen und Sender reagierten
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