Eine unheilvolle Begegnung
bereits bedrohlich tief über den graugrünen Felsen der Morrison Formation und brachte die roten und purpurfarbenen Bänder in ihnen zum Leuchten. Sam atmete tief die trockene Luft ein und fühlte, wie der Friede und die Schönheit der Landschaft sie durchströmten. Manche Menschen fanden die Gegend hier einfach nur trocken und grau, mit einem Wort: langweilig. Doch für Samantha war sie etwas völlig anderes. Wenn sie die Felsformationen anblickte, sah sie im Geiste, wie sich die Landschaft im Laufe der Jahrmillionen verwandelt hatte: von einem weiten Tal mit Flüssen und Seen, vielfältiger Flora und Fauna in diese aufgetürmten, bunten Felsen aus Sedimentgestein. Andere Flüsse wie der Colorado River hatten sich gebildet und in Millionen von Jahren durch das Colorado Plateau gegraben. Tiefe Canyons, darunter auch der bekannte Grand Canyon, waren entstanden.
Ein kühler Windstoß fuhr durch Sams kurze braune Haare und holte sie aus ihren Träumereien wieder in die Gegenwart zurück. Seufzend blickte sie noch einmal nach unten, bevor sie den kurzen Weg zu ihrem Zelt ging. Das Abtransportieren der Knochen würde einigen Aufwand erfordern, wahrscheinlich musste sie dafür Hilfe anfordern. Sicher war es dann bald nicht mehr ihr eigener Fund: Ihr Chef würde jeglichen Ruhm für sich beanspruchen.
Die Arbeit war so schön gewesen, bevor Professor Marsh an die Universität gekommen war. Sein Vorgänger war ihr Freund und Mentor gewesen und hatte ihr alles beigebracht, was sie heute über die Paläontologie wusste. Leider war er bereits kurz nach ihrem Abschluss emeritiert worden. Da alle führenden Paläontologen bereits gute Stellen an anderen Universitäten und Museen besetzten, war nur noch Marsh übrig geblieben, um die Arbeit ihres Mentors fortzusetzen. Bereits in der ersten Woche hatte Marsh versucht, bei Samantha zu landen, wurde jedoch von ihr abgewiesen. Zur Strafe hatte er sie in den Keller versetzt, wo sie die alten Sammlungen säubern und katalogisieren sollte. Was nicht so schlimm gewesen wäre, wenn er nicht bereits einige Male unter irgendwelchen Vorwänden persönlich heruntergekommen wäre, um sie begrapschen zu können.
Das letzte Mal hatte er ihr sogar an den Po gefasst, woraufhin sie einen von Gips ummantelten Knochen auf seinen Fuß hatte fallen lassen. Noch jetzt entsetzte es sie, dass sie damit beinahe einen über hundert Millionen Jahre alten Knochen zerstört hätte. Das war der Moment, in dem sie erkannt hatte, dass sie dringend eine Pause brauchte, und sie beantragte zwei Monate Ausgrabungszeit. Marsh, der seit dem Zwischenfall an Krücken lief, war ihr die meiste Zeit aus dem Weg gegangen. Er hatte wohl verstanden, dass er besser ihrem Gesuch zustimmte, bevor sie ihm noch mehr brach als nur den Fuß. Im Institut ging das Gerücht um, der Professor wäre über sein Ego gestolpert, und Sam sah keine Veranlassung, dem zu widersprechen. Als er ihr kurz vor ihrer Abreise scheinheilig lächelnd mitteilte, ihr bedauerlicherweise keinen Studenten zur Seite stellen zu können, weil derzeit alle an der Universität gebraucht würden, war er bei ihr vollkommen unten durch.
Sam schüttelte die Gedanken an Marsh ab, zog den Kopf ein und betrat das Zelt. Sie war zufrieden mit ihrem Leben. Was konnte es Schöneres geben als einen Beruf, der mehr Hobby als Arbeit für sie war? Und dann noch die Stille und Einsamkeit dieser grandiosen Landschaft. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus, während sie die Kameratasche über ihre Schulter hängte. Sam war genau dort, wo sie sein wollte: fernab von Städten, Menschen und ihren Machenschaften. Hier war sie nur ein kleiner Teil eines riesigen Ganzen, von Zeit, Raum und Natur.
Entschlossen, nicht noch mehr kostbares Tageslicht zu verschwenden, joggte sie den kurzen Weg zu ihrer Ausgrabungsstelle zurück. In spätestens einer halben Stunde würde es stockfinster sein, und dann wollte sie nicht unbedingt noch mitten im Nirgendwo unterwegs sein, sondern lieber gemütlich in ihrem Zelt sitzen. Notfalls konnte sie die kleine Taschenlampe benutzen, die sie immer bei sich trug. Vorsichtig kletterte sie die steile, bröckelige Felswand herunter, die die fossilienreiche Schicht enthielt. Unten angekommen, steckte sie ein Maßgitter über dem Schädel fest, das später auf den Fotos die Größe, Lage und Abstände dokumentieren würde. Sie klappte das Blitzlicht aus und begann zu fotografieren.
Eine ganze Weile vertiefte sie sich völlig in ihre
Weitere Kostenlose Bücher