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Eine verlaessliche Frau

Titel: Eine verlaessliche Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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natürlich alle schon wussten. Es hatte Telegramme gegeben, telegraphische Anweisungen, eine Fahrkarte. Sie wussten alles.
    Sie kannten die ganze Geschichte seines Lebens, seit er ein Baby gewesen war. Viele von ihnen, ja die meisten von ihnen, arbeiteten auf die eine oder andere Weise für ihn: in der Eisengießerei, fällten Bäume, bauten das Erz ab, kauften oder verkauften, rechneten die Umsätze oder die Einnahmen zusammen. Diejenigen, die nicht für ihn arbeiteten, hatten im Grunde genommen gar keine Arbeit, bis auf die brutale und verzweifelte Schufterei, die die Einfältigen und Faulen in solch rauen Gegenden am Leben erhält.
    Manche, das wusste er, waren faul. Manche waren grausam zu ihren Frauen und Kindern, manche ihren langweiligen und grundsoliden Ehemännern untreu. Die Winter waren zu lang, zu hart, und man erwartete von niemandem, dass er das einfach so überstand.
    Für einige verwandelte sich das normale Leben in einen Alptraum. Sie verhungerten während der schrecklichen Wintermonate. Sie zogen sich aus der Gesellschaft zurück und hausten allein in baufälligen Hütten in den Wäldern. Man fand sie sabbernd und nackt, und sie wurden in die Irrenanstalt nach Mendota gebracht, wo man sie in eiskalte Laken wickelte und mit Elektroschocks behandelte, bis ihre geistige Gesundheit und ihre Seelenruhe wiederhergestellt waren. Diese Dinge passierten einfach.
    Dennoch, es machten jeden Tag mehr Leute weiter als aufgaben. Es blieben mehr Leute da als wegzogen. Diejenigen, die dablieben, ob verrückt oder gesund, hatten alle früher oder später mit Ralph Truitt zu tun. Auch er, Ralph Truitt, machte trotz der Kälte und seiner eigenen ungeheuren Einsamkeit immer weiter.
    Â»Wird mächtig schneien«, sagten sie.
    Â»Schon dunkel«, sagten sie. »Vier Uhr und schon dunkel.«
    Â»Abend, Ralph, Mr. Truitt. Wird wohl ein gewaltiger werden, so wie’s aussieht. Heißt es im Kalender.«
    All die kleinen Dinge, die sie sich überlegten, um einen kleinen, aber mutigen Versuch zu unternehmen, irgendwie eine Verbindung zu ihm herzustellen. Jedes Gespräch mit ihm wurde zu etwas, das man, lange bevor auch nur ein Wort ausgesprochen war, vorausplante, überdachte, in dieser und jener Weise abwog und das man anschließend in allen Einzelheiten Revue passieren ließ und weiter erzählte, nachdem er fort war.
    Hab heute Mr. Truitt getroffen, sagten sie dann vielleicht zu ihren Frauen, weil nur sehr wenige es wagten, anders an seinen Namen zu denken. Er war sehr freundlich, hat nach dir und den Kindern gefragt. Konnte sich an jedes einzelne mit Namen erinnern.
    Sie hassten ihn, und sie brauchten ihn, und sie vergaben ihm. Wenn ihre Männer darüber zeterten, was für ein knauseriges Arschloch, was für ein Geizkragen, was für ein arroganter Schweinehund er war, sagten die Frauen: »Na ja … du weißt ja … er hat seinen Kummer gehabt.«
    Natürlich wussten sie das. Alle wussten das.
    Er schlief allein. Er lag im Dunkeln und sah sie vor sich, all diese Leute. Er träumte ihr Leben im Dunkeln.
    Die Männer drehten sich um, sahen ihre Frauen an, und die Lust flammte in ihnen wie eine Explosion auf. Ralph stellte sich ihr Leben vor, ihre Lüste, die von kaum mehr als einem Nachthemd aus Musselin entzündet wurden. Elf Kinder, manche auch dreizehn: neun tot, vier am Leben; sechs am Leben, sieben verstorben.
    In Ralph Truitts nächtlichen Vorstellungen – mitten in der Nacht – bildeten die Knoten von Tod und Geburt ein wahnsinniges Band, das die Stadt zusammenhielt. Alle lagen Haut an Haut im Dunkel, direkt unter den schweren peinigenden Kleidungsstücken des Tages. Er sah vor seinem geistigen Auge, wie sich die Männer zwischen die angewärmten Laken stürzten und wieder jung waren, jung und verliebt, und sei es auch nur für fünfzehn Minuten im Dunkeln, wenn sie mit ihren verbrauchten Frauen zusammenlagen, die in diesen wenigen Minuten wieder sie selbst, wieder schöne junge Mädchen waren mit glänzendem geflochtenem Haar und immer zum Lachen aufgelegt. Er dachte nur an Sex dort im Dunkeln.
    In den meisten Nächten konnte Ralph es ertragen. Aber in manchen nicht. In diesen Nächten lag er da und erstickte an der Fülle der Lust, die er sich überall vorstellte, des befriedigten Verlangens und der sprachlosen Akte einer körperlichen Mildtätigkeit, wie sie im Dunkeln selbst

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