Drei Tage voller Leidenschaft
Lieber Leser,
als ich 1978 mein erstes Buch (SEIZED BY LOVE) schrieb, war ich von Georgette Heyers Regency-Romanzen hingerissen. Ich hatte diese Autorin gerade erst für mich entdeckt und schaffte es, in wenigen Monaten ihre sämtlichen Romane zu verschlingen. Doch in einer Hinsicht war ich auch enttäuscht, weil die faszinierenden Gestalten darin niemals über die Anstandsgrenzen eines Küßchens hinausgingen. Was diese Welt braucht, sagte ich bei mir, ist ein historischer Roman mit Sex. Und gerade das hatte ich im Sinn, als ich dieses Buch schrieb. Mit meiner üblichen Unbekümmertheit ignorierte ich die Tatsache, daß mein Roman nicht in England spielte, noch fanden die Ereignisse in der Epoche des Regency statt. Dem Stil nach war mein Tribut an Georgette jedoch reines Regency.
Ich habe dieses Buch nicht mehr in die Hand genommen, seit ich es 1978 schrieb, und als ich es neulich durchging, um vielleicht die eine oder andere Stelle zu überarbeiten, fand ich zu meinem Erstaunen, wie typisch es für die neueren ›Umschlingungs-Romanzen‹ war. Wow, hatte ich das wirklich geschrieben? Ich hatte es ganz vergessen. Schließlich änderte ich nur wenig ab, weil es ein Buch war, das ich heute nicht mehr so schreiben würde. Seitdem hat sich so viel geändert, besonders was die Rollen von Männern und Frauen angeht: Die Tendenz zu Gleichberechtigung am Arbeitsplatz und in der Familie, Gesetze, um diese Bürgerrechte zu verankern und neue Optionen für die Berufswahl bewirkten, daß sich die Perspektiven heutiger Männer und Frauen wandelten. Und diese Änderungen, ob radikal, subtil oder nur als Stimmungsumschwung spürbar, werden in den heutigen Romanzen widergespiegelt.
Aber mir haben so viele Leser geschrieben und um einen Nachdruck der Kuzan-Familiensaga gebeten, daß ich mich freute, als der Verlag beschloß, sie wiederaufzulegen. Dieses Buch ist mein einziger Tribut an Georgette Heyer, denn der zweite und dritte Band in der Reihe stellen Weiterentwicklungen meiner Erzähltechnik dar. Da ich ursprünglich Malerin bin, sind mir stilistische und kreative Wechsel vertraut. Diese Bücher sind typisch für meine ›frühe russische Phase‹ – im Gegensatz zur neueren Susan Johnson.
Ich hoffe, Sie haben Spaß an dieser Einführung in die Familie der Kuzans. Das Rußland des neunzehnten Jahrhunderts war voller Schönheit und harscher Gegensätze, der Adel zu Brutalität wie höchster Sensibilität fähig, die Landschaft weiträumig, vielfältig und von dramatischer Erhabenheit. Nikkis und Alisas Geschichte bildet nur einen kleinen Ausschnitt dieses riesigen Bilderbogens. Die beiden nächsten Bände decken weitere Teile des Zarenreiches ab und setzen die Geschichte zwei weitere Generationen lang fort.
Herzlich
Ihre
Susan Johnson
Erstes Kapitel
Die Wette
Karelien
Großherzogtum Finnland April 1874
Der letzte Becher war schon lange mit einem Trinkspruch an die Wand geschleudert worden und lag nun in einem das Licht gleißend brechenden Scherbenhaufen aus Kristall vor dem steinernen Kamin. Die spitzen Splitter warfen das Licht des Feuers zurück und spiegelten den tanzenden, funkelnden Widerschein. Ein paar übriggebliebene herabgebrannte Kerzen flackerten unruhig in den Leuchtern, während die zerfetzten Stümpfe anderer ein stummes Zeugnis für Prinz Nikolais kapriziöse Vorliebe für einen Wettkampf im Zielschießen ein paar Stunden früher bildeten.
Auf einem niedrigen Podest auf der einen Seite des langen Raumes spielte eine ermüdete Gruppe von Musikern weiterhin wilde, unheimliche Zigeunermusik, während sie unruhig das grübelnde Gesicht ihres Herrn beobachteten, des jungen Prinzen. Sie hofften, einigermaßen genau die sprunghaften Launen von Prinz Kuzan vorherzusehen oder zu besänftigen und zumindest in dieser Nacht gefährlichere Launen zu vermeiden. In solchen Nächten, wenn der Weltschmerz für ihn zuviel wurde, zog sich der Prinz in sein Jagdschlößchen zurück, um melancholisch über die Ungerechtigkeit der Welt nachzugrübeln.
Nikkis Jagdschlößchen war ein Gebäude aus Stein und Holz, das ansässige Handwerker Anfang des Siebzehnten Jahrhunderts errichtet hatten. Ein schwedischer Adliger hatte diesen kleinen Palast für sich gebaut, in dem er sich zurückzuziehen beliebte. Es stand in idyllischer Lage auf einem Felsvorsprung mitten in einem Tannenwald. Der terrassierte Garten in italienischer Manier war von einem späteren Erben nach einer Tour durch Italien hinzugefügt worden. Mit der
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