Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
Kemmers Augenwinkeln. Sie driftete weg, weg von ihm, von den schlechten Erinnerungen.
»Gina?«
»Mr Leone?« Die Oberschwester kam ins Zimmer und stemmte die Hände in die Hüften. »Zwingen Sie mich nicht, Sie schon wieder hinauszuwerfen.«
»Nur noch eine Frage.«
»Mr Leone …«
»Gina, was hat er ihr angetan?«
Er musste sich weit vorbeugen, um sie verstehen zu können.
»Er ist schuld an ihrem Tod …«
98
»An dieses Gesicht erinnere ich mich«, wiederholte Monique, die Postbeamtin.
Mendez hatte erwartet, dass sie auf Darren Bordain deutete.
Aber das tat sie nicht.
Sie deutete auch nicht auf Bruce Bordain.
Sie deutete auf Milo.
»Sind Sie sicher?«, fragte Hicks und klang so zweifelnd, wie Mendez sich fühlte.
»Völlig sicher. Dieses unverschämte Frauenzimmer vergesse ich nicht so bald. Hält sich wohl für was Besseres!«
»Hat sie das Paket bei Ihnen aufgegeben?«, fragte Mendez.
»Ja, und sie hatte es in Papier gepackt und es wie einen Thanksgiving-Truthahn fünfzigmal mit Schnur umwickelt«, sagte Monique. »Ich erklärte ihr sehr höflich, dass wir keine in Papier verpackten, verschnürten Pakete annehmen, weil sie sich in den Maschinen verheddern. Sie führte sich auf, als hätte ich ihr gesagt, sie solle es sich in ihren Allerwertesten schieben. Ich wünschte, ich hätte es gesagt!«
Milo Bordain.
Mendez hörte Moniques weiteren Tiraden nicht mehr zu. Er war vollauf damit beschäftigt, diese neue Wendung in der Bordain-Saga zu verdauen.
Er deutete mit dem Kopf zur Tür. Hicks dankte den beiden Postbeamten und folgte Mendez auf den Bürgersteig hinaus.
» Milo Bordain?«, sagte Mendez draußen. »Milo Bordain?«
Mehr sagte er nicht. Sie standen auf dem Bürgersteig vor dem Postamt, blind für die Menschen, die sich an ihnen vorbeidrängten. Mendez wusste, dass im Kopf seines Partners gerade dasselbe los war wie in seinem: ein Riesendurcheinander.
»Ich kapier’s nicht«, sagte Hicks. »Sie hat das Paket an sich selbst geschickt?«
»Sie hat das Paket selbst gepackt?«, fragte Mendez, und bei dem Gedanken wurde ihm ganz anders. Unweigerlich kam ihm der Tatort in den Sinn, die unglaubliche Brutalität, das Blut. Er stellte sich Marissas Entsetzensschreie vor, als sie dem Mörder zu entkommen versuchte.
»Das kann nicht sein«, sagte Hicks. »Diese Postbeamtin muss sich irren. Das kann einfach nicht sein.«
»Sie hat sie auf dem Foto wiedererkannt«, sagte Mendez. »Und wie sie das Verhalten der Frau beschrieben hat. Das passt haargenau auf Milo Bordain.«
Hicks schüttelte den Kopf. »Nie im Leben. Keine Frau kann einer anderen Frau eine solche Gewalt antun. Frauen töten nicht so – mit bloßen Händen, in rasender Wut. Einer anderen Frau die Brüste abschneiden? Nein.«
Eine Frau mit einem Kleinkind im Schlepptau schnappte den letzten Satz auf und machte automatisch einen Schritt zur Seite.
»Vielleicht hat sie das Paket aufgegeben, ohne seinen Inhalt zu kennen«, sagte Hicks.
»Wie sollte sie nicht wissen, was sich darin befindet?«
»Ihr Mann oder ihr Sohn hat es ihr gegeben, damit sie es zur Post bringt.«
»Und an sich selbst schickt?«, fragte Mendez. »Und dann fährt sie bis nach Lompoc damit? Kommt mir nicht gerade plausibel vor.«
»Aber Milo Bordain als irre Mörderin kommt dir plausibel vor? Keine Frau kann das einer anderen antun. Nie im Leben.«
Mendez verschränkte die Hände hinter dem Nacken und lief in kleinen Kreisen herum.
»Marissa Fordham war die Tochter, die Milo Bordain nie hatte«, sagte Hicks. »Die Kleine war wie eine Enkelin für sie.«
»Sie war ihre Enkelin«, sagte Mendez. »Das dachte sie zumindest.«
»Warum sollte sie dann versuchen, die Kleine umzubringen?«, fragte Hicks. »Das macht doch keine Großmutter!«
Mendez versuchte, ein vorstellbares Szenario zu entwerfen. »Milo Bordain und Marissa Fordham geraten aneinander. Vielleicht wollte Marissa mehr Geld, oder vielleicht hatte sie auch keine Lust mehr. Wie auch immer, jedenfalls rastet Milo aus und bringt sie um. Zu spät merkt sie, dass das Mädchen alles mit angesehen hat und sie identifizieren kann. Jetzt muss sie auch Haley umbringen.«
»Eine Frau kann genauso wie ein Mann ausrasten und jemanden umbringen«, gab ihm Hicks recht. »Aber die Verstümmelungen? Und das Messer in der Vagina?«
Zwei ältere Frauen, die gerade das Postamt verließen, starrten sie mit offenem Mund an.
Mendez zog das Bild heraus und klappte es auf. Bruce Bordain, Darren Bordain und seine
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