Eine zweite Chance
Erbhof.«
»Was spielt das für eine Rolle? Du entscheidest dich, es so zu erhalten und nichts zu verändern, sie entscheiden sich für etwas anderes. Warum sollte gerade deine Art besser sein?«
»Man hat doch immerhin das Recht, eine Meinung zu haben?«
»Hat man das? Warum hat man das? Über Dinge, mit denen man nicht einmal etwas zu tun hat.« Susanna sah sie mit schräg gelegtem Kopf an. »Du würdest es doch niemals akzeptieren, dass jemand eine Meinung über dich hat.«
»Das würde ich schon. Die Leute sollen doch denken, was sie wollen.«
»Erinnerst du dich nicht, wie wütend du warst, als du und Papa euch getrennt hatten und Großmutter eine Menge Ansichten darüber hatte, wie du leben solltest.«
»Das war doch eine ganz andere Sache.«
»Erst war sie böse über eure Trennung, dann fand sie, du seist zu viel unterwegs. Sie sagte, es seien Gerüchte im Umlauf, erinnerst du dich? Ihr habt ja mehrere Jahre nicht miteinander gesprochen.«
»Das war doch, weil sie sich in Sachen einmischte, die sie nichts angingen.«
»Aber das ist doch genau das, was ich sage.« Susanna wies mit einem Nicken auf Niklas’ Broschüre hin. »Was hast du damit zu tun, in wen die Leute sich verlieben und was sie in ihren Schlafzimmern machen? Warum kümmert dich das überhaupt? Wie kann es dich stören, dass jemand homosexuell ist?«
Anna-Karin fühlte sich angegriffen, sie wollte sich verteidigen, aber Susanna war zornig, und wenn auch sie ihr den Rücken kehrte, wer blieb ihr dann noch.
Susanna seufzte tief. »Findest du es so merkwürdig, dass Niklas es dir nicht erzählen wollte?«
»Es kann schon sein, dass ich ungeschickte Sachen gesagt habe, aber ich habe nie gemeint, dass …«
»Was hast du dann gemeint?«
Anna-Karin dachte nach, fand aber keine Antwort. Das war doch alles so dahingesagt. Witze und Formulierungen, die sie von anderen gehört hatte. »Ich habe doch nichts Besonderes damit gemeint.«
Susanna schnaubte, und Anna-Karin gefiel ihre Miene nicht. Sie tat ja nun ihr Bestes, aber es war schwierig umzudenken. Zwei Männer, die … nein, sie konnte es nicht ändern, dass sie das unnatürlich fand. Warum wollte jemand so etwas tun?
»Ich finde nur, es ist … es ist so schwer, das zu verstehen.«
»Was denn?«
»Das mit zwei Männern, die … oder Frauen, ich finde nur, es ist … komisch.«
»Vielleicht musst du es nicht verstehen. Vielleicht musst du die Leute einfach nur das machen lassen, was sie selbst wollen.«
Anna-Karin sagte nichts, eine Weile saß sie da und schaute auf die Broschüre. Sich heimisch fühlen – ein guter Start für dich, wenn du dir einen Überblick über die HBT -Gruppe verschaffen willst. Sie schlug eine beliebige Seite auf, und das Erste, worauf ihr Blick fiel, waren Beschimpfungen und Hasstiraden. Die Worte machten die Gedanken, die sie während der Nacht verfolgt hatten, zur Wirklichkeit. Die Angst davor, dass Niklas ein Aussätziger war. »Ich denke nur daran, wie schwer er es haben wird. All die Vorurteile, denen er begegnen wird, der Hass, der da ist. Es tut mir im Herzen weh, wenn ich daran denke, dass jemand Niklas so sehen würde.«
»Dann tu es nicht.«
Anna-Karin starrte sie an. »Das weißt du doch, dass ich Niklas nicht hasse.«
»Begleite mich am Sonntag nach Stockholm und sag es ihm selbst.«
»Nach Stockholm?«
»Ja, der Zug geht um zehn vor zwölf.«
»Jetzt am Sonntag? Aber ich habe …«
»Doch, du hast bestimmt etwas anzuziehen, und du hast den ganzen Tag Zeit, um zu packen und dich auf die Reise vorzubereiten.«
Anna-Karin sah sich ängstlich in der Küche um. Die Blumen, die gegossen werden mussten, das ganze Essen im Kühlschrank, alles, woran sie denken musste, wenn sie verreisen würde.
»Jetzt hör mal, Mama, wie schwierig kann es sein? Ich habe schon eine zusätzliche Fahrkarte bestellt.« Susanna lächelte, streckte ihre Hand aus und legte sie auf die ihren. »Ich habe darüber nachgedacht, was Margit über Helga erzählt hat. Liebe Mama, mach nicht denselben Fehler.«
Kapitel 26
Die Wahrheit brachte einen erst weiter, wenn man den Mut hatte, sich auf sie einzulassen. Wenn man aufhörte, gegen die Umwelt anzukämpfen, und die Fehler bei sich selbst suchte. Wie sehr hatte sie sich bemüht, sich ihre Fehler nicht eingestehen zu müssen. Vielleicht war ihr Charakter nichts anderes als die Summe all dieser Ausflüchte. Sie hatte sich entschieden, allem aus dem Weg zu gehen, aber nachdem sie sich auf alle möglichen Arten selbst
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