Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
schön«, sagte Flambeau entschieden; »was ich meine ist, daß wir über Lord Glengyle nur eines herausgefunden haben. Er war irre.«
    Die schwarze Silhouette von Gow mit Zylinder und Spaten glitt, undeutlich gegen den dunkelnden Himmel umrissen, am Fenster vorbei. Father Brown starrte sie unbewegt an und antwortete:
    »Ich kann ja verstehen, daß da irgendwas Sonderbares um den Mann war, denn sonst hätte er sich nicht lebendig begraben – und auch nicht so eine Eile gehabt, sich tot begraben zu lassen. Aber was läßt Sie denken, er wäre ein Irrsinniger gewesen?«
    »Na gut«, sagte Flambeau; »dann hören Sie sich nur mal die Liste der Gegenstände an, die Craven im Haus gefunden hat.«
    »Dazu brauchen wir eine Kerze«, sagte Craven plötzlich. »Ein Sturm kommt auf, und es ist schon zu dunkel zum Lesen.«
    »Haben Sie unter Ihren Sonderbarkeiten«, fragte Brown lächelnd, »irgendwelche Kerzen gefunden?«
    Flambeau hob sein ernstes Gesicht und richtete seine dunklen Augen auf den Freund.
    »Das ist auch seltsam«, sagte er. »25 Kerzen und keine Spur von einem Kerzenhalter.«
    In dem sich schnell verdunkelnden Zimmer ging Brown bei dem sich schnell verstärkenden Wind am Tisch entlang da hin, wo ein Bündel Wachskerzen zwischen den anderen Ausstellungsbruchstücken lag. Dabei beugte er sich zufällig über den Haufen rotbraunen Staubes; und ein scharfes Niesen zerbrach die Stille.
    »Hallo!« sagte er. »Schnupftabak!«
    Er nahm eine der Kerzen, zündete sie sorgfältig an, kam zurück und steckte sie in den Hals der Whiskyflasche. Die unruhige Nachtluft, die durch das zerbrochene Fenster fuhr, ließ die lange Kerzenflamme wie ein Banner wehen. Und rings um die Burg konnte man die schwarzen Föhren Meilen über Meilen wie eine schwarze See um den Felsen rauschen hören.
    »Ich will das Verzeichnis verlesen«, begann Craven ernst und hob eines der Papiere auf, »ein Verzeichnis von dem, was wir zusammenhanglos und unerklärlich in der Burg fanden. Sie müssen wissen, daß die Burg fast ausgeräumt und vernachlässigt ist; ein oder zwei Räume sind aber von jemandem in einem einfachen aber keineswegs ärmlichen Stil bewohnt worden; jemand, der nicht der Knecht Gow war. Hier ist die Liste:
    Erstens. Ein sehr beachtlicher Hort wertvoller Steine, fast alles Diamanten, und alle lose, ohne jede Fassung. Selbstverständlich ist es nur natürlich, daß die Ogilvies Familienschmuck besaßen; nun sind dies genau die Schmucksteine, die fast immer in besondere Fassungen eingesetzt werden. Die Ogilvies aber scheinen sie lose wie Kupfermünzen in den Taschen getragen zu haben.
    Zweitens. Haufen über Haufen loser Schnupftabak, nicht etwa in einer Büchse oder auch nur in einem Beutel, sondern in losen Haufen auf den Wandsimsen, auf der Anrichte, auf dem Piano, überall. Es hat den Anschein, als ob der alte Herr sich nicht die Mühe machen wollte, in einer Tasche zu suchen oder einen Deckel aufzuklappen.
    Drittens. Hier und da im Haus sonderbare kleine Häufchen aus winzigen Metallteilen, manche in der Form von Stahlfedern und andere in der von mikroskopischen Rädchen. Als ob man irgendein mechanisches Spielzeug auseinandergenommen hätte.
    Viertens. Die Wachskerzen, die man in Flaschenhälse stecken muß, weil nichts anderes da ist, sie hineinzustecken.
    Nun bitte ich Sie zu beachten, wieviel sonderbarer all dieses ist als das, was wir erwartet haben. Auf das Haupträtsel waren wir vorbereitet; wir haben alle auf den ersten Blick gesehen, daß mit dem letzten Earl irgend etwas nicht in Ordnung war. Wir kamen hierher, um herauszufinden, ob er wirklich hier lebte, ob er wirklich hier starb, ob jene rothaarige Vogelscheuche, die ihn begrub, etwas damit zu tun hat, daß er starb. Stellen Sie sich von mir aus die übelste all dieser Möglichkeiten vor, die finsterste oder melodramatischste Lösung nach Belieben. Stellen Sie sich vor, der Diener tötete wirklich den Herrn, oder stellen Sie sich vor, der Herr ist nicht wirklich tot, oder stellen Sie sich den Herrn als Diener verkleidet vor, oder stellen Sie sich den Diener an der Stelle des Herrn begraben vor; erfinden Sie sich welche Tragödie auch immer im Stil von Wilkie Collins, aber dann haben Sie immer noch nicht eine Kerze ohne Kerzenhalter erklärt, oder warum ein älterer Herr aus gutem Hause gewohnheitsmäßig Schnupftabak auf dem Piano verstreuen sollte. Den Kern der Geschichte können wir uns vorstellen; es sind die Ränder, die rätselvoll sind. Selbst die wildeste

Weitere Kostenlose Bücher