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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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diese in ihren Zeitungen bisher übersprungen und nur Mordberichte, Gerichtschronik, Strips, Sportberichte und den Fortsetzungsroman gelesen hatten, widmeten ihr seit einiger Zeit größere Aufmerksamkeit. Und die Rubrik schien sich dieser Aufmerksamkeit bewußt zu sein und sie sich erhalten zu wollen: sie begann sich seltsam und sensationell zu benehmen, indem sie derartig überraschende Preissprünge und derartige Produktionsstürze notierte, daß die Leute sie mit einem Interesse verfolgten, als handle es sich um Fußballergebnisse oder um das Schicksal der Heldin eines Stripromans.
    Fußballspiele im übrigen gab es schon lange nicht mehr, und die menschliche Leidenschaft für den Kampf, den andere führen, ohne Risiko für den Zuschauer, mußte durch etwas anderes ersetzt werden. Die Fußballpause, die für gewöhnlich in die Monate Januar, Februar und März fällt, wenn Schnee auf den Spielplätzen liegt, war soeben zu Ende gegangen, und die Frühjahrsrunde hätte beginnen müssen, als Neuschnee die letzten Vorbereitungen der Spieler und Schlachtenbummler unterbrach. Die Meisterschaftsrunde mußte am ersten Sonntag ausfallen, und dann ging das von Sonntag zu Sonntag so weiter, Hand in Hand mit dem Wetterbericht. So blieb ungeklärt, wer Meister werden würde, „Matschwa“ oder „Velez“, und die Leute, die nicht wußten, wie sie ihre freie Zeit am Sonntagnachmittag vertreiben sollten, oder die vor ihren Familien und Frauen flüchteten oder auch vor unangenehmen Gedanken, vergnügten sich eine Zeitlang mit dem weniger populären Eishockey, und das Geschrei vom Taschmajdan ersetzte das Geschrei und die Schlägereien von den Fußballplätzen am anderen Ende der Stadt. Aber sei es, daß Eishockeykämpfe an sich weniger aufregend sind oder daß sie bei kaltem Wetter ausgetragen werden, das die Nerven abkühlt – jedenfalls tat sich ein großes Loch unter den Leuten auf, die ihrer Gewohnheiten und einer bestimmten Portion Aufregung beraubt waren. Die Toto-Annahmestellen arbeiteten schon seit mehreren Runden nicht mehr, so daß es Vorschläge gab, in Ermangelung von Aktien- und Devisenbörsen Büros für Wirtschaftswetten einzurichten, und Nachrichten aus privater Hand zufolge hatte eine Reihe von Fußballspielern, die ohne Gehalt und Prämien geblieben waren, aber zu den Menschen gehörten, die sich auf jedem Terrain zu bewegen wissen, in der Zwischenzeit Beschäftigungen als Wirtschaftsagenten angenommen, eine in der gegenwärtigen Situation sehr amüsante und einträgliche Sache’. Und sogar verschiedene Wirtschaftsfunktionäre, ansonsten Vorsitzende von Vereinen für Leibesübung oder deren glühende Anhänger, sagten sich seit einiger Zeit vom Sport los und entschieden sich für ihre angestammten Wirtschaftsressorts, denn sie fanden, daß diese in der entstandenen Situation aufregender und amüsanter geworden waren als selbst der Fußball.
    Und die Wirtschaft zeigte in der Tat seltsame und scheinbar unbegreifliche Veränderungen und Schwankungen. Eines Tages zum Beispiel erhöhte sich plötzlich der Verbrauch an Streichhölzern, ohne ersichtlichen Grund, und das hielt so lange an, bis Streichhölzer völlig vom Markt verschwunden waren. Danach, ebenso plötzlich, erhöhte sich der Verbrauch an Spiritus, Petroleum, Benzin, ja sogar an Feuersteinen, so daß es, wenn man alles das im Zusammenhang betrachtete, so aussah, als habe alle Welt beschlossen, Brandstifter zu werden. Überraschend zogen alle Preise für Wollerzeugnisse an, selbst für grobes Bauernloden, Gamaschen und Bauernstrümpfe, und jäh stürzten die Preise aller modischen Artikel aus Nylon, Orion, Perlon, sogar Seide, so daß es aussah, als sollten wir alle bald wieder Bauern werden. Nach Kühlschränken, Staubsaugern und ähnlichen Haushaltsgegenständen sah sich kein Mensch mehr um. Elektrische Heizkörper und Kochplatten wurden noch verkauft, aber woher kam es, daß zum Beispiel Glühbirnen kaum jemand verlangte, während alle Petroleumlampen, Kerzen, Hindenburglichter, ja sogar gewöhnliche Totenlichtchen jäh vom Markt verschwanden? Was ist das? Was ist passiert? Wem war diese wunderliche Geschmacksveränderung zuzuschreiben? Und wer weiß – vielleicht wurden diese Veränderungen gerade wegen ihrer Mysteriosität und Unerklärlichkeit noch unterhaltsamer. Jedermann versuchte zu erraten, auf welchen Artikel als nächstes die Wahl fallen würde.
    „Seltsam!“ sprach auch Herr Krekić. „Kohle und Grubenholz ziehen wieder rasch an. Das

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