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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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wir überlegen noch. Es ist jetzt auch nicht leicht, welche zu bekommen.“
    „Meint ihr, der Genosse Generaldirektor würde intervenieren?“
    „Der? Ich zweifle. Du siehst ja, was los ist. Der hat derart viel Scherereien, daß er sich selbst nicht helfen kann.“
    „So? Und ich hatte mir so ein bißchen eingebildet, daß du grad mit ihm die ganze Zeit gesprochen hast. Im übrigen – Servus, gut Nacht. Ich geh schlafen. Damit ich wenigstens im Bett ein bißchen warm werde.“
    Mann und Frau schauten sich noch eine Weile an.
    „In Wirklichkeit“, sagte er langsam, „wenn man’s genau nimmt, ist es eine Schande, was du gemacht hast. Was hindert dich daran, ihr zu sagen, was sie tun soll? Schließlich ist sie nicht meine, sondern deine Verwandte.“
    „Vielleicht solltest du grad deshalb aufhören, dich in unsere Beziehungen einzumischen. Im übrigen hast du mir erst soeben vorgeworfen, ich bringe den Markt durcheinander.“
    „Vorgeworfen? Gott bewahre! Ich hab nur meiner Verwunderung und Bewunderung Ausdruck verliehen. Aber dennoch – sie wird es merken, wenn man die Kohlen bringt. Das wirst du sowieso nicht verheimlichen können.“
    „Laß das meine Sorge sein. Du wirst sehn, ich hab auch das geregelt. Und wenn der Generaldirektor allen Freunden Kohle zuteilen würde, was bliebe dann für uns? Im übrigen siehst du ja selbst, was für eine Zeit angebrochen ist, was für eine kalte, frostige Zeit. Niemand denkt jetzt daran, wer wem nahesteht, jeder kümmert sich um sich selbst. Also soll auch Dara sich allein zurechtfinden, wie sie vermag. Hast du mich verstanden?“
    „Ich hab verstanden“, sagte er, und nachdem er sie eine Weile betrachtet hatte, streckte er ihr die Zunge ‘raus. „Und das geb ich dir dafür! Da – da hast du!“ sagte er und streckte ihr die Zunge noch einmal ‘raus, soweit es nur ging.
    Seine Zunge war spitz, dünn und lang, und bei seinem schon gealterten, mageren Gesicht, seiner Brille, seiner großen, sattelförmigen Nase und seinem borstigen, fuchsgelb gefärbten Schnurrbart wirkte das alles tatsächlich lächerlich.
    Der Mann saß auf einer Bank, in den Mantel gehüllt, und schaute über die Brüstung hinweg irgendwohin. In die Ferne. In den farblosen Himmel am fernen Horizont. Sein Kragen ist hochgeklappt, der Hut tief in die Stirn gezogen, damit die Bura* ihn nicht mitnimmt. Dürres Laub raschelte über ihm, fiel herab, sank, wirbelte, vom Wind getrieben, über die trockene Erde, um sich über die Brüstung zu werfen.
    Der Freund des Mannes war schon aufgestanden; bei dieser Kälte konnte man draußen nicht lange sitzen.
    „Wohin hast du dich verguckt?“ fragte er. „Als hättest du jemanden hinausbegleitet und wartest nun vergeblich auf seine Rückkehr.“
    Tief unter ihnen wiegte sich und brodelte das weißlich-graue Meer. Die Bura { * } fegte über den Wasserspiegel hin, schnitt wie mit einem Rasiermesser die Wellenköpfe ab und verspritzte sie als weißen Schaum. Im Hintergrund sprühte sie damit den tiefhängenden Himmel zu. Kein Segel, kein Rauch über dem Meer. Nur dürres Laub im Wind, mit Möwen vermischt, die sich in der Luft wiegten.
    „Ich würde sagen, sie weht dieser Tage schwächer. Kommt es nicht auch dir so vor?“
    „Nein“, sagte der erste, „mir scheint nicht. Wir haben uns dran gewöhnt. Wieviel Tage geht das schon so?“
    „Ich weiß nicht. Eine Ewigkeit. Fast hab ich schon vergessen, daß sie mal nicht blies. Darum mein ich auch, es war Zeit, daß sie sich legt. “
    „Sie wird sich nicht legen. Leider. Ich bin überzeugt, die Bura wird sich nicht legen. Es wird schon gut sein, wenn sie eine Zeitlang nachläßt.“
    „Woraus schließt du das? Das kann unmöglich so weitergehn.“
    „Es wird trotzdem so weitergehn. Das weiß ich vom Vogelflug. Ich such die Vögel dort weit hinten.“
    Auch er erhob sich. Der Wind nahm einen kräftigen Anlauf, und beide faßten die steinerne Brüstung fester. Die Möwen schnellten nur in die Höhe, überbrückten den Windstoß und kehrten wieder auf die alte Höhe zurück, und das Laub trieb weiter dem Meer zu.
    „Vom Vogelflug“, wiederholte er. „Wie die Wahrsager in alten Zeiten. Auch sie haben die Vögel nicht ohne Grund beobachtet. Sie wußten etwas, was wir längst vergessen haben: Daß der Mensch nicht das einzige Wesen auf Erden ist. Daß auch er manchmal etwas von den anderen, die kleiner sind als er, lernen kann. Und so beobachteten die Menschen von ihren Türmen den Vogelflug und lasen daran

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