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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Pförtner in seiner Loge einen Strich zog; auch der führte eine Statistik über die Zuspätkommenden. Die Tasche tief herabgelassen, bis unter die Knie, stieg er die Treppen hinauf, erfüllt von einer unbekannten und undeutlichen Sorge. Zu gleicher Zeit, müde von der im Fauteuil verbrachten Nacht, versuchte der Genosse Generaldirektor vergeblich, seinen Wagen vom Schnee zu befreien und in Gang zu setzen. Schließlich gab er’s auf und beschloß, sich auch sei nerseits zu Fuß aufzumachen. Die Hausfrau, in den Wintermantel gehüllt, verschlafen und noch nicht zurechtgemacht, stand auf ihrer Türschwelle und piepte: „Wo hetzen Sie hin? Sehen Sie nicht, was los ist? Sie werden sich im Schnee verirren. Der Staat wird doch wohl nicht zugrunde gehn, wenn Sie einen Tag nicht ins Büro kommen.“ Der Genosse Direktor wußte selbst, daß nichts passieren würde, wenn er fehlte, aber noch vermochte er sich nicht des Wunsches zu entledigen, vor ihr und ihren Gästen zu zeigen, wer er war und was er konnte. Er nahm noch zwei Gläschen für einen glücklichen Weg zu sich, steckte die Hosenbeine in die Socken und stapfte entschlossen in den Schnee. „Da könnt ihr mal sehn!“ sagte er und verschwand, schnaufend vor Anstrengung und scharfem Branntwein, um die Ecke, noch bevor er hören konn te, was Frau Krekić über ihn zu ihrem Mann sagte, der ihm mit seiner langen Nase aus dem Fenster nac hschaute.
    Aber er ermüdete bald; er war zu schnell losmarschiert. Schweiß brach aus ihm, das Hemd klebte ihm am Leib. Das Herz wollte ihm zum Hals herausspringen. Sobald der Schnee weggeschmolzen und schöneres Wetter eingetreten war, also so gut wie morgen, würde er mit Spaziergängen und Training beginnen. Er blieb stehn, um zu verschnaufen und etwas Luft zu schnappen. Die Passanten hatten ein höheres Tempo als er und stießen ihn ein paarmal zur Seite. Eine Frau kam vom Einkaufen zurück, blieb mit dem Korb an ihm hängen und fuhr ihn auch noch an: „Was stehst du da wie ein Denkmal! Du bist mir ein richtiges hohes Tier!“ Was sollte er tun? Er wollte sagen: Willst du sehn, ich bin auch eins – aber er begriff, daß er sich hier im Schnee und ohne Wagen von anderen nicht unterschied und daß es demnach keinen Sinn hatte, sich zu erklären und auseinanderzusetzen. Und, um sich irgendwie von hier zu entfernen, auszuruhen und zu erfrischen, kehrte er in das Wirtshaus an der Ecke ein, das war geöffnet. Er traf darin zu seiner Verwunderung auf viel Volk. Lauter finstere Gestalten in Mänteln mit aufgeklapptem Kragen, mit tief in die Stirn gezogenen Hüten, Kappen und Fellmützen. Unrasiert, mit borstigen Bärten, drängten sie sich um die Theke, und säuerlicher Schweiß, dünner Dampf und der Geruch von feuchtem Tuch schlugen aus ihnen. Alle tranken Schnaps. Sie hielten dem Wirt Gläser hin, die dieser füllte, ohne zu zählen und ohne zu schauen, wem wieviel. Teils wurde geschwiegen, teils leise, murmelnd gesprochen. Auch er nahm sich ein Gläschen und hielt es hin. Sie gossen ihm ein, schauten ihn nicht einmal an, und so leerte er zwei hintereinander. Der Schnaps war stark. Doppelter.
    „Schnee!“ sagte einer in seiner Umgebung mit tiefer Stimme. „Die Straße von Pancevo ist verweht. Nicht ein Wagen ist heut morgen angekommen.“
    „Auch die Straße von der Avala. Nicht einmal die Chaisen mit der Milch sind durchgekommen.“
    „Wie steht’s mit den Zügen? Nichts könnt’ ich heut morgen zu kaufen bekommen.“
    Er nahm noch einen dritten und fühlte sich kräftiger. Er hielt Geld über die Theke, aber niemand ergriff seine Hand. Der Wirt sah ihn überhaupt nicht an; finster und schweigsam fuhr er fort, leere Gläser zu füllen.
    „Es wird nicht bezahlt!“ sagte ihm einer, der neben ihm stand.
    „Warum? Wieso wird nicht bezahlt?“
    „Das Geld ist abgeschafft. Als unnötig und wertlos. Sie sehen ja selbst, daß man nichts kaufen kann.“
    Durch Schaufenster und Glastür hindurch zeigte der Mann auf die andere Seite, und, seinem Finger folgend, sah der Direktor, daß gegenüber ein Wochenmarkt lag. Die im Wirtshaus waren Aufkäufer. Einer der längsten unter ihnen beugte sich über ihn und sagte in sanfterem Ton:
    „Der Sohn des Wirts hat Seelenmesse. Jetzt werden die Stammgäste freigehalten. Und auch die Laufkundschaft.“
    „Und wann ist er gestorben? Was hat ihm gefehlt?“ fragte er, selbst nicht wissend warum.
    „Vorigen Winter. Ein Schneesturm hat ihn unterwegs zugeweht. Und du, wer bist du?“ fragte der

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