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Eis

Eis

Titel: Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kosch
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Frühjahrsdiirre geben werde, die anderen fürchteten den Frost, der die Weizenkeimlinge im Boden vernichten und die Ernte des Sommergetreides verzögern könnte. Es gab Artikel, in denen schwere Überschwemmungen nach Eintritt des Tauwetters vorausgesagt wurden, während die Hydrologen behaupteten, der späte Schnee werde einen günstigen Einfluß auf die Wassermengen in den Flüssen ausüben, so daß die Elektrizitätswerke auch mitten im Sommer mit voller Kraft würden arbeiten können.
    Am amüsantesten aber waren in diesen Tagen, da, wie selten zuvor, die Blicke auf den Himmel, das Thermometer und Barometer gerichtet waren, die Meteorologen selbst. Ihre Prognosen gingen völlig auseinander – mal prophezeiten sie das Anhalten des Frostes, mal, daß der Schnee schon am anderen Tag schmelzen werde. Zwei von ihnen hoben sich besonders hervor; der eine, Angestellter der Stadt, gab optimistische, ungetrübte Prognosen, der andere, ein inoffizieller Privatmann, sagte ständig schlechte Zeiten voraus. Die Bürger lasen mehr den ersten, im Grunde aber glaubten sie dem zweiten, um so mehr, als, wenigstens momentan, dessen Voraussagen genauer waren – was übrigens, vom Leben her gesehen, auch verständlich ist, denn es gibt im Leben mehr Anlaß zu Kummer und Tränen als zu Zufriedenheit und Freude. In jeder Ortsgemeinde konnte man die Namen der beiden lesen. Der eine wie der andere, ebenso die Wetterkunde insgesamt, wurde schnell populär – der Meteorologe Liebling vor allem unter den Beamten, die sich, der Natur ihrer Beschäftigung entsprechend, mehr an amtliche Berichte halten und die sich mehr für maßgebende Meinungen darüber interessieren, von welcher Seite ein kalter Wind bläst.
    Mehr als je zuvor trug Belgrad, die Weiße Stadt, in diesen Tagen ihren Namen zu Recht. Wie tagsüber Ruß auf den Schnee fiel, so fiel des Nachts Reif auf den Ruß und deckte wieder zu, was der Tag beschmutzt hatte.
    Genau zu jener Zeit froren auch die Flüsse zu, Schnee bedeckte die Eisfläche, und man konnte nicht mehr erkennen, wohin sie flossen. Ein endloses weißes Feld erstreckte sich rings um die Stadt.
    Als erste fingen diejenigen zu jammern an, von denen man ein solches Zeichen der Schwäche am wenigstens erwartet hätte: verschiedene Sportler und ihre Anhänger. In den letzten zehn Tagen war die Temperatur nicht über Null gestiegen, die Spielfelder lagen unter tiefem Schnee, und es war selbst für Gespräche vom Fußball zu kalt. Die Barbiere hatten keinen Anlaß mehr zu Plaudereien mit ihren Kunden und die Beamten nicht zu Preference, womit sie sonst ihre Langeweile totgeschlagen und gewürzt hatten. Zum Skilaufen, Rodeln und Schlittschuhlaufen gab es jetzt Gelegenheiten genug, aber seltsamerweise verloren die Menschen die Lust daran und äußerten nicht den Wunsch, sich zur Unzeit damit zu befassen. Nicht einmal die Kinder gingen mehr mit ihren Schlitten auf die Straße, und wenn jemand Ski über der Schulter trug, blieben die Leute stehn und sahen ihm nach wie einem Müßiggänger und Mutwilligen.
    Aber: Des einen Uhl ist des anderen Nachtigall. Auch der Winter ist des einen Leid, des andern Freud. Brennstoffhandlungen machten ausgezeichnete Geschäfte mit ihrer teueren Ware und Konfektionshäuser mit ihren spät herangeschafften Wintermodellen. Kinos, Theater und Kaffeehäuser waren voll, sogar verschiedene Versammlungen und Vorträge. Hier suchten die Menschen, die der Verdruß langer Winterabende und die Kühle daheim aus dem Haus gejagt hatten, warmen Unterschlupf. Man suchte nach Räumlichkeiten, in denen Öfen bullerten, Leiber dampften und scharfe Getränke ausgeschenkt wurden. Und warme menschliche Gespräche die Mienen besänftigten. Und die Seelen.
    Einen Monat nachdem der Schnee eingesetzt hatte, in der zweiten Aprilhälfte, einen Tag bevor es im Hause Krekić abermals zu einer Zusammenkunft kommen sollte, telefonierten die Hausfrau und die Genossin Dara miteinander, den Hörer dicht ans Ohr gepreßt.
    „Weißt du“, sagte Dara, „gestern hab ich beim Abendessen bei den Protićs einen amüsanten Mann kennengelernt, den Genossen Liebling, den Meteorologen. Den die Zeitungen so oft erwähnen.“
    „Da schau her, ich bitt dich! Wie kommt der denn zu denen?“
    „Aber das weiß man doch, das hat Raca so gedreht. Sobald jemand bekannt geworden ist, muß er in ihr Haus.“
    „Schön, aber ist er denn wirklich eine Persönlichkeit?“
    „Du würdest staunen, er ist es wirklich. Oder er wird es bald sein.

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