Eis
Winter. Und so weiter. Wer einen vollen Keller hatte, jammerte nicht; wer nichts zu heizen hatte, preßte die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten, legte sich früher ins Bett und deckte sich dick zu. Die einen wie die anderen trachteten danach, das Leben so fortzuführen, wie bisher, ihren Gewohnheiten und Möglichkeiten entsprechend, ohne dem Schnee zuviel Aufmerksamkeit zu widmen; wie die Menschen den ersten Herzschlag nicht besonders beachten. Sie hofften, die Schwierigkeiten würden bald vorbei sein und mit dem unumgänglichen Frühjahr wärmere Tage und schönere Zeiten anbrechen. Und das half ihnen von allem am meisten, sich zu gedulden; denen, die mehr hatten, wie auch denen, die wenig hatten.
Und dennoch, auch der verstärkte Frost hinderte sie nicht daran, den Mund aufzumachen. Nachdem sie dem Herrgott und der Natur, als den Stärkeren, schon nichts anhaben konnten, suchten sie näher gelegene Ursachen für ihre Not.
„Ein einzige Schnee“, sagten sie, „und schon kehren wir fast in die Vorgeschichte und in die Eiszeit zurück. Was würde erst werden, wenn das so zwei, drei Monate anhält.“ Sie beklagten sich über die angewachsenen Schlangen vor den Verkaufsständen und Holzhandlungen, über die hohen Preise und die niedrigen Löhne: „Mal Überschwemmung, mal Dürre, mal Hagel, mal Schnee! Immer ist uns etwas übel gesonnen. Wir möchten, daß auch mal die Natur sich nach uns richtet, statt wir nach ihr.“ Der eine hat wegen des Schnees immer noch einen Gast oder Verwandten aus der Provinz auf dem Hals, der Schnee ließ ihn nicht nach Haus zurück. Der andre wartet täglich vergebens auf den Briefträger und durchsucht in Erwartung eines wichtigen Briefes oder einer noch schicksalsschwereren Geldanweisung den Briefkasten. Es murrten die Hausfrauen, denen es leid wurde, zu Mittag alte, erfrorene Kartoffeln zu kochen. Die arbeitslosen Taxifahrer standen frierend auf ihren Plätzen herum, die Striptease-Girls streikten, indem sie sich in den kalten Nachtlokalen nur bis zum Nabel entkleideten. Die Bauern führten Klage, sie hätten kein Viehfutter und daher die Kühe keine Milch mehr, und die Bürger sagten, das komme daher, daß die Brunnen eingefroren seien und die Bauern nichts mehr hätten, womit sie die Milch verdünnen könnten. In Wirklichkeit waren alle voll Ungeduld. Sie wollten, daß der Schnee schnell wegschmelze und alles sich jäh löse.
Den Generaldirektor der Direktion für allgemeinen Verkehr, Stojan-Stole Plećasch, erreichten ununterbrochen nervöse Anrufe. „Entschuldigen Sie, Genosse“, meldeten sich fast zornig die Krekićs, „wissen Sie vielleicht, wann unsere Züge endlich wieder fahren werden? Die Mitićs waren grad bei uns, als es zu schneien anfing, und nun wollen und wollen sie nicht weg, und sie haben doch schon solches Verlangen nach ihrem Heim.“ Dara – die an jenem Abend mit nackten Beinen auf dem Fußboden gesessen hatte – interessierte sich dafür, ob es einen Sinn habe, jetzt, zu Ende des Winters, zum Skilaufen in die Berge zu fahren: „Ich hab Angst, allein zu fahren. Und Sie, würden Sie sich nicht ein wenig ausruhen und zerstreuen wollen?“ Selbst seine Bekannten fanden einen Grund, auf ihn böse zu werden (als habe er sich diesen Schnee ausgedacht): ein Filmregisseur, der ausgerechnet eine Sommerlandschaft irgendwo hernehmen mußte; einer seiner Kollegen, dem es ohne Fußballspiele langweilig war; ein Diplomat, der ins Ausland hätte reisen müssen; und selbst seine eigene Frau, die den Umzug aus dem Landesinnern nicht durchführen konnte.
„Wendet euch an die Meteorologen, ich bin dafür nicht zuständig“, empfahl er ihnen vergebens. Denn genau von jenem Tage an, als die größte Zeitung sein Bild vom Bahnhof veröffentlicht hatte, wandte die Presse sich dauernd an ihn – als habe sie begriffen, daß es Pflicht der Meteorologen war, Schnee zu bringen, die seine aber, den Schnee wieder fortzuschaffen. Die Redakteure hörten nicht auf, ihn anzurufen, von ihm Informationen zu verlangen und in einem fort von ihm zu schreiben – von seiner Direktion, vom Verkehr und von Handel und Wandel ganz allgemein, als handle es sich um eine Frage auf Leben und Tod und als habe ausgerechnet er sich verpflichtet, mit der Schaufel in der Hand das ganze Land vom Schnee zu säubern. „Fortwährende Zugverspätungen“, „Verkehr auf der Strecke nach Una noch nicht wieder aufgenommen“, „Es wird erwartet, daß spätestens in zwei Tagen der erste Zug nach
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