Eisblut
keinen Kontakt mehr zu Pete. Anna wollte
Abstand gewinnen, von Christian und seiner ganzen Soko.
»Wie war es in Kanada?«, versuchte Pete Konversation zu machen, als
er mit dem Wagen in den Verkehr einfädelte.
»Pete. Was ist los?«
Pete atmete ruhig durch. »Wir brauchen deine Hilfe.«
»Nein. Nein, vergiss es.« Anna schüttelte so vehement den Kopf, dass
ihre Ohrringe hin und her flogen. Der Knoten, zu dem sie ihre schulterlangen
brünetten Haare zusammengebunden hatte, löste sich auf und einige Strähnen
fielen ihr ins Gesicht. Es stand ihr gut.
»Hör mir doch erst mal zu!«, bat Pete sie.
»Nicht mal das!«
»Es geht nur um eine Zeugenaussage. Nichts Wichtiges vermutlich, die
Frau ist höchstens eine Ergänzungszeugin. Sie ist die Mutter von Mohsen und
glaubt, etwas zu wissen. Das Ganze ist garantiert Blödsinn, sie kennt weder das
Opfer, noch hat sie in irgendeiner Weise mit dem Fall zu tun. Nicht im
Entferntesten. Aber wir würden Mohsen gern den Gefallen tun, er nervt uns, weil
seine Mutter ihn nervt.«
»Wer ist Mohsen?«
Pete wechselte ruhig die Spur und überfuhr eine Ampel, just als sie
auf Rot umsprang. »Ein Rechtsmediziner. Stammt aus dem Iran. Seit ein paar
Monaten der Assistent von Karen. Sie hält groÃe Stücke auf ihn.«
»Und was habe ich damit zu schaffen?«
Pete warf Anna einen kurzen Blick zu, bevor er wieder die Spur
wechselte. »Keine Ahnung. Glaub mir, ich würde dich gerne raushalten, aber sie
will nur mit dir reden. Schätze, Mohsen hat ihr von deiner Beteiligung am Bestatter-Fall
erzählt. Er hat selbst keinen Schimmer, was seiner Mutter im Kopf herumspukt,
sie sagt es ihm nicht. Vielleicht möchte sie mit dir reden, weil du Psychologin
bist, vielleicht, weil du eine Frau bist, ich weià es nicht. Vermutlich ist sie
eine gelangweilte, von ihrem muslimischen Mann unterdrückte Mutti, die sich bei
ihrem Sohn wichtigmachen will. Aber du würdest uns einen groÃen Gefallen tun.
Hör dir einfach an, was sie zu sagen hat, und das warâs.«
Pete bog nach rechts ab.
»Warum fährst du durchs Nedderfeld? Das ist ein Umweg«, bemerkte
Anna.
»Frau Hamidi wohnt in Lokstedt«, antwortete Pete so beiläufig wie
möglich.
»Wo wir in einem groÃen Bogen vorbeifahren werden«, meinte Anna
wütend, »und zwar bis vor meine Haustür. Oder du stoppst jetzt sofort und rufst
mir ein Taxi!«
»Schon gut. Ich fahre dich nach Hause.«
Obwohl Pete nachgegeben hatte, begann sie, sich für ihre Absage zu
rechtfertigen: »Ich will nicht, verstehst du? Egal, ob sie was zu sagen hat
oder nicht. Ich will nie wieder vor eurer Pinnwand stehen und Fotos von Leichen
betrachten, ich will nie wieder einem Mörder in die Seele blicken, ich will nie
wieder gefesselt und bedroht werden und einen Toten mit offener Schädeldecke
auf meinem Küchenboden liegen haben. Ist das deutlich genug?« Den letzten Satz
schrie sie fast.
Anna öffnete das Fenster. Sie fühlte sich beklommen und atmete
abwesend die feuchte, vom am StraÃenrand herumwirbelnden Herbstlaub leicht
modrig riechende Luft ein.
»Klar. Sorry«, murmelte Pete.
Anna beruhigte sich ein wenig. Nach ein paar Schweigeminuten fragte
sie leise: »Wie geht es Chris?«
»Wer weià das schon? Er hat den Kontakt nach seinem Weggang komplett
abgebrochen, das hast du ja noch mitbekommen. Daran hat sich nichts geändert.
Nur Volker sieht ihn noch. Sie spielen sonntags immer Schach bei Chris.«
»Gardé«, sagte Christian und zog seine Dame in die
entsprechende Position. Sie saÃen im Wohnzimmer vor einem antiken Schachtisch
mit floralen Intarsien, gekauert in zwei niedrige, etwas abgewetzte Sessel.
Volker zögerte kurz, dann tauschte er ab, was für beide zusätzlich den Verlust
eines Pferdes nach sich zog.
»Du spielst wie ein Metzger«, kommentierte Christian Volkers Taktik.
»Nenn mich nicht so«, sagte Volker, »das erinnert mich an unseren
aktuellen Fall. Du wirst es nicht glauben, aber wir haben wieder einen.«
»Verschwundene Pfadfinder suchen oder einen kleinen Zuhälter durch
die neuen Bundesländer jagen?«
Von dieser und ähnlicher Brisanz waren die Ermittlungen gewesen, mit
denen der Hamburger Polizeichef sie das letzte Jahr beschäftigt hatte. Die
beiden fünfzehnjährigen Pfadfinder hatten sie im Chiemgau aufgetrieben, wo sie
einen
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