Eisblut
so langen Reise vorbeizukommen. Er besaà ein angenehmes ÃuÃeres, sprach
sanft und völlig akzentfrei. Nach einigen einleitenden Sätzen, die die
Höflichkeit verlangte, brachte er Anna zu seiner Mutter, die im Wohnzimmer
wartete. Auch Frau Hamidi schien überaus sympathisch, eine Frau Ende fünfzig
mit dezent-eleganter Kleidung. Nachdem ihr Sohn mit Pete das Wohnzimmer
verlassen hatte, bot sie Anna Platz auf einem riesigen, von Kissen übersäten
Sofa an und goss Tee in orientalische Gläser. Dabei sah sie Anna prüfend an.
»Sie werden sich bestimmt fragen, warum ich mit Ihnen reden will.«
Anna nickte: »Zumal Sie von Ihrem Sohn sicher wissen, dass ich
Privatperson, also keine Polizistin bin und letztes Jahr nur durch Zufall in
die Ermittlungen hineingezogen wurde.«
Frau Hamidi nippte an ihrem Tee. »Darum geht es nur am Rande. Ich
habe Ihren Aufsatz gelesen: Lust an Zerstörung â über die Psychodynamik von
Sadisten.«
»Der Artikel wurde von meinem Kollegen als unwissenschaftlich
kritisiert«, erinnerte sich Anna mit bitterem Lächeln. Ihr war immer noch nicht
klar, was diese Frau von ihr wollte.
»Mag sein. Weil die Kollegen Ihres Fachbereichs nicht wissen, wie es
sich anfühlt. Aber Sie wissen es.«
Frau Hamidi schwieg bedeutungsvoll.
Heftiger als beabsichtigt reagierte Anna: »Was weià ich?« Zu ihrer
Bestürzung bekam sie plötzlich das Gefühl, dass ihr Besuch hier in eine
persönliche Sphäre eindringen würde, in der niemand auÃer ihr etwas verloren
hatte.
»Sie wissen, wie es ist, gefoltert zu werden. Ich habe gehört, Sie
seien letztes Jahr von einem russischen Killer gequält worden. Sie haben den
Artikel geschrieben, um sich zu diesem Erlebnis Distanz zu verschaffen, um für
den Verstand erfassbar zu machen, was die Seele nicht verarbeiten kann, nicht
wahr?«
Unwillig erhob sich Anna: »Falls Sie tatsächlich etwas verstanden
haben, wie Sie behaupten, dann wüsste ich nicht, was Sie Ihrer Meinung nach
dazu berechtigt, in meine privatesten Angelegenheiten einzudringen.«
»Ich zeige es Ihnen.« Auch Frau Hamidi erhob sich. Mit leicht
zittrigen Händen, aber den Blick fest auf Anna gerichtet, nestelte sie an ihrer
schwarzen Seidenbluse. Anna begriff nicht, was da gerade vor sich ging. Als
Frau Hamidi ihre Bluse öffnete und Anna ihren freien Oberkörper präsentierte,
erkannte Anna immer noch keinen Zusammenhang. Aber sie verstand, dass Frau
Hamidi wusste, was Lust an Zerstörung war. Sie hatte es augenscheinlich am
eigenen Leib erfahren.
Zwei quälende Stunden später war Anna wieder zu Hause. Als
Erstes kühlte sie sich im Bad die verweinten Augen mit Wasser. Auf der
Rückfahrt hatte sie kein Wort herausgebracht, und nun saà Pete bei ihr im
Wohnzimmer und wartete geduldig auf eine Erklärung. Anna kam etwas wacklig die
Treppe herunter. Pete erhob sich und sah sie erwartungsvoll an. Sie ging auf
ihn zu und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Er nahm es wortlos hin.
Schwer lieà sich Anna in den Sessel fallen und befahl Pete, eine Flasche
Rotwein zu öffnen. Als er ihr ein gefülltes Glas reichte, meinte er vorsichtig:
»Wir machen es kurz, du bist sicher todmüde.«
»Ich bin hellwach, für mich ist jetzt mitten am Tag«, widersprach
sie. »Erzähl mir von der Leiche. Was hat man der Frau angetan?«
Pete rutschte unwohl auf dem Sofa herum: »Sie hat zahlreiche,
gezielt angebrachte Schnittverletzungen davongetragen. Nichts Tödliches. In jede
einzelne Wunde war Salz eingerieben worden. Ganz offensichtlich wurde sie
auÃerdem mit Elektroschocks gefoltert. Auch an den Genitalien. Vergewaltigt.
Und â¦Â«
»â¦Â und ihr wurden die Brustwarzen mit einer Schere abgeschnitten«,
beendete Anna den Satz bemüht sachlich. Pete nickte verärgert: »Hat Mohsen das
seiner Mutter erzählt? Der tickt wohl nicht richtig! Morgen werde ich dem ganz
schön â¦Â«
»Nichts wirst du. Beruhige dich. Der Kerl ist damit nicht
klargekommen, auch wenn er schon ein knappes Jahr in der Rechtsmedizin
arbeitet. Er wollte es seiner Mutter nicht erzählen, aber gestern Abend nach
der Obduktion ist er bei ihr heulend zusammengebrochen.«
»Das kann er sich nicht erlauben, wenn er diesen Job machen will,
das sollte er wissen. Was hat seine Mutter gesagt?«
Pete goss nach, denn Anna hatte ihr Glas in zwei
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